Bremerhaven (epd). Die allmähliche Freisetzung von Giftstoffen durch Munitionsreste in den Schiffswracks zweier Weltkriege in der Nordsee bedroht aus Sicht von Wissenschaftlern das marine Ökosystem – und gefährdet in Zukunft über die Nahrungskette wohl auch den Menschen. Das ist das Ergebnis eines mehrjährigen internationalen Forschungsprojektes unter dem Titel «North Sea Wrecks» (Wracks in der Nordsee), das am Mittwoch bei einem Symposium in Bremerhaven vorgestellt wurde. Durch rostende Munitionshülsen werde im Wasser beispielsweise der krebserregende Sprengstoff TNT freigesetzt, sagte der Biologe Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Schon in geringen Konzentrationen schädige er Organismen wie Fische, Muscheln, Krebse und Würmer.

 

Was man in Supermärkten aus der Nord- und Ostsee finde, könne man aber bedenkenlos essen, sagte Edmund Maser, Experte für Umwelttoxikologie und Nahrungsmittelsicherheit aus Kiel. Das könne sich allerdings in Zukunft ändern, warnte der Forscher: «Wir müssen wachsam sein.» Die Organismen in der See würden nachweislich geschädigt, weil sie ein Leben lang den Giftstoffen ausgesetzt seien. «Muscheln aktivieren Gene gegen diesen Stress, Fische haben erhöhte Tumorraten», erläuterte Maser. Mittel- und langfristig stelle sich die Frage, inwiefern das schleichende Gift die biologische Vielfalt unter Wasser schädige.

 

Auf dem Meeresboden allein von Nord- und Ostsee liegen nach Schätzungen von Fachleuten bis zu 1,6 Millionen Tonnen an Munitionsresten der beiden Weltkriege wie Granaten, Torpedos, Minen und Bomben. Brenner sagte, in der gesamten Nordsee gebe es geschätzt mindestens 1.000 Wracks mit Munition an Bord. 15 davon seien im Rahmen des Projektes untersucht worden. Neben dem Risiko durch Explosionen etwa nach Berührungen mit einem Anker gehe von den Munitionsresten vor allem eine chronisch-schleichende Gefahr durch Vergiftungen aus, «eben auch bei niedrigen Konzentrationen». Die Forschungen hätten ergeben, dass sich die Giftstoffe großräumig um die Wracks verteilten. Das Problem nehme durch die fortschreitende Korrosion der Munitionshülsen zu.

 

Die Munition aus den Schiffswracks zu bergen sei teuer und kompliziert, sagte Brenner. Einfacher und effektiver sei es zunächst, verklappte Sprengstoffe aus dem Wasser zu holen, die größtenteils in der Ostsee liegen. Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag ein Sofortprogramm zu verklappten Munitionsaltlasten im Meer angekündigt, der Bundestag stellte dafür 100 Millionen Euro bereit. Eine Pilotanlage zur Bergung und Vernichtung soll entwickelt werden. «Das macht Sinn bevor man sich an die Wracks wagt», sagte Brenner.

 

Das EU-geförderte Forschungsprojekt «North Sea Wrecks» läuft seit viereinhalb Jahren und endet in den nächsten Wochen, ein Nachfolgeprojekt ist geplant. Dabei geht es um Grundlagenforschung. Außerdem fließen die Ergebnisse in ein von der Kieler Firma north.io entwickelte Datenbank ein, die eine Risikobewertung von Fundorten erlaubt. Beteiligt an dem Projekt mit einem Budget von rund fünf Millionen Euro sind neun Partner aus fünf Nordsee-Anrainern, darunter das AWI und das ebenfalls in Bremerhaven ansässige Deutsche Schifffahrtsmuseum. Ziel sei es, die Behörden durch die Bereitstellung von Daten und Methoden in der Risikobewertung von konventioneller und chemischer Munition zu unterstützen, hieß es.

Kirche-Oldenburg
Forschungsprojekt: Nordsee-Munitionsreste gefährden Leben im Wasser – Datenbank soll bei der Risikobewertung helfen