So nüchtern und wissenschaftlich unsere Welt auch oft daherkommt, so groß ist dennoch der Wunsch viele Menschen nach spiritueller Erfahrung.
Wer bewusst die Regale in einer Buchhandlung betrachtet, findet dort jede Menge Bücher zu diesem Thema, die zeigen: so einfach ist das nicht mit der spirituellen Erfahrung.
Oft ist von einem Weg die Rede. Von Veränderung, von Suchen und Finden. Spirituelle Erfahrung ist nicht mit einem Moment getan. 
   
Das Matthäus-Evangelium erzählt von einer spirituellen Erfahrung (Matthäus 17, 1-9). Jesus besteigt mit drei Jüngern einen hohen Berg: ein schwerer, vielleicht steiler Aufstieg. Die Drei wissen nicht, was sie erwartet.
   
Doch auf dem Berg angelangt, geschieht bereits das erste Wunder:
Jesus wird verwandelt oder – wie Luther übersetzte: verklärt – vor ihren Augen. Sein Angesicht leuchtet wie die Sonne, seine Kleider werden weiß wie das Licht. Eine überwältigende Verwandlung – wie aus einer anderen Welt!
Die Jünger spüren: Solche Verwandlung geschieht nur, wenn Gott selbst erscheint.
   
Dann das zweite Wunder: Mose und Elia erscheinen.
Mose und Elia, das sind die beiden alten gottesfürchtigen Männer, die zu ihren Lebzeiten so gern wissen und erfahren wollten, wie Gott aussieht. Mose darf Gott nur im Rückblick sehen. Ein Urbild von Lebens- und Glaubenserfahrung: Nur im Nachhinein sehe ich Gott, erkenne ich seine Führung in meinem Leben.
Und Elia, der erkennt: Gott ist anders. Nicht in den Naturgewalten, nicht im Feuer, Erdbeben und Sturm zeigt Gott sein Wesen. Gott ist viel eher wie ein sanftes Windsäuseln. Auch dies ein Urbild vieler Glaubenserfahrungen: Gott wirkt in deinem Leben nicht vordergründig und gewalttätig, sondern unscheinbar. Gott ist im Kleinen und im Unscheinbaren.
Und Petrus – handfest wie wir ihn kennen – will Hütten bauen. Er will diese Gottesoffenbarung, dieses Wunder dauerhaft werden lassen.
   
Während Petrus noch redete, geschieht das dritte Wunder.
Eine lichte Wolke überschattet sie, unwirkliches Licht umgibt sie, aber eine klare Stimme spricht: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.
Wer Gott kennenlernen und erfahren will, schaue auf diesen einen, auf Christus; in seinem Angesicht ist Gott erkennbar, in seinen Worten hörbar, in seinen Taten spürbar; wo immer Menschen Gott suchen und spüren wollen – im Angesicht Jesu Christi ist er da.
   
Doch religiöse Erfahrungen und Gottes-Erklärungen sind nicht einfach leicht und angenehm, sie ängstigen auch – wie jede tiefgreifende Erfahrung.
So liegen die Jünger vor Jesus wie tot, sind völlig erstarrt vor Angst und Furcht. Doch das, was dann im Evangelium folgt, ist das entscheidende vierte Wunder.
   
Auf die Gottes-Erklärung folgt die Gottes-Berührung mit Hand und Wort: Jesus rührt die Erstarrten an und spricht: Steht auf und fürchtet euch nicht.
Was für eine großartige Zusage! Welch einmalige Berührung, Zuwendung, Fürsorge! Welch Trost im Leben und Sterben!
   
Gott berührt mich und spricht mir zu: Fürchte dich nicht, weder im Leben noch im Sterben – ich halte dich und trage dich, nicht nur einen Moment lang, sondern von Beginn an bis in Ewigkeit.
So steigen die Jünger mit ihrem Herrn auch den Berg wieder hinab und kehren zurück. All die Wunder da oben bewahren Jesus nicht vor Gethsemane und Golgatha, ihn und alle Jüngerinnen und Jünger nicht vor Angst und Tod. Auch in meinem Leben bleiben Angst und Tod gegenwärtig, vielleicht mächtiger in diesen Monaten als sonst – aber Gott ist in diesen Monaten auch gegenwärtig und er ist mächtiger. Am Ende siegt das Leben durch ihn.
   
Die Erfahrung von Ostern, der Sieg des Lebens über den Tod, ist die alles entscheidende Grundlage christlichen Glaubens durch das Lesen und Auslegen der Heiligen. Schrift. Dadurch sind wir als Personen ernst genommen, aber auch gefordert; denn Gott in seinem Wort zu begegnen, ist nicht immer leicht und angenehm. Es ist ein Stück Arbeit im Denken und Glauben.
   
Unter den Bedingungen unseres Lebens können wir Gotteserfahrungen wie Mose machen: Im Rückblick, im Nachhinein erkenne ich Gottes Führung. Diese Erkenntnis ist möglich durch das Lesen, Auslegen und Verstehen der Bibel.
   
Unter den Bedingungen unseres Lebens können wir Gotteserfahrungen wie Elia machen: Im Unscheinbaren spüre ich plötzlich Gottes Lebenskraft – angeleitet durch das Lesen, Auslegen und Verstehen der Bibel.
Ich glaube, es gibt zu diesen Gotteserfahrungen noch eine Steigerung. Gott begegnet den Menschen in seinem Wort. Und dieses Wort ist nicht ein Gesetz oder eine Regel, es ist zuerst eine Liebeserklärung Gottes: Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn – hör auf Jesus Christus, vertrau dem Sieg des Lebens.
   
Wenn mich diese Liebeserklärung verklärt und berührt, werde ich schon jetzt verwandelt – dann geschehen neue Wunder auch bei mir:
• Ich starre nicht mehr ängstlich auf die bedrohlichen Mächte, sondern vertraue dem Gott des Lebens;
• ich warte nicht auf spektakuläre oder garantierte spirituelle Erfahrungen, sondern vertraue dem Wort der Heiligen. Schrift: So wie Christus ist Gott; so wie Christus liebt mich Gott;
• ich suche nicht den momentanen Kick, sondern vertraue Gottes Liebeserklärung mitten im Alltag.
Es ist wie im richtigen Leben: Liebeserklärungen und verklärte Gesichter haben ihre Zeit; aber außergewöhnlich ist die alltägliche Lebens und Liebesgemeinschaft, die gelebte, die lebendige Partnerschaft der Liebenden – im Miteinanderleben, Reden und Handeln. So ist es mit Menschen und so ist es mit Gott.
Amen.

Kirche-Oldenburg
Gottes Liebeserklärung