Hochsaison an der Küste: Als Urlauberseelsorgerin hat die evangelische Pastorin Maike Selmayr gerade jetzt alle Hände voll zu tun. Sie arbeitet in Cuxhaven, dem größten Nordseeheilbad Deutschlands. Dort registriert sie in ihrem Dienst immer wieder: Ferienzeit ist auch Krisenzeit. «Manchmal hilft es schon, wenn jemand einfühlsam zuhört und sagt, was er dazu denkt», schildert sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) Erfahrungen mit Feriengästen, die sie als Seelsorgerin aufsuchen.
epd: Frau Selmayr, was ändert sich, wenn wir auf einmal freie Zeit haben?
Maike Selmayr: Das ist sehr unterschiedlich. Der eine kommt tatsächlich zur Ruhe, kann die Seele baumeln lassen und Dinge machen, zu denen er im Alltag keine Zeit hat. Andere suchen Abenteuer und Events, wieder andere Kultur und Bildungsangebote. Und es gibt sicher auch die, die in der Stille plötzlich in ein Loch fallen und dann merken: Die Sorgen habe ich leider nicht zu Hause gelassen, sie holen mich am Urlaubsort ein. Manch einer ist enttäuscht, denn genau das, was ich mir gewünscht habe, der Erholungseffekt, tritt nicht ein. Ich merke, da muss ich selber erst mal an mir arbeiten. Oder Trauer kommt hoch, weil man jemanden verloren hat.
epd: Für einige Menschen sind Urlaub und freie Zeit tatsächlich so etwas wie ein Katalysator für eine Krise?
Maike Selmayr: Das ist tatsächlich so. Aber eben nicht für jeden.
Doch für einige Menschen tritt die Ruhe, nach der sie sich sehnen, nicht wirklich ein. Sie kommen oft aus einer Belastungssituation und sagen sich: Jetzt will ich mich erholen. Trotzdem geht ihnen alles nur auf die Nerven – die Familie, der Partner, die eigene Situation.
epd: Wenn Urlauber mit Ihnen als Seelsorgerin sprechen möchten, um welche Themen geht es dann?
Maike Selmayr: Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einer Frau, die gerade erfahren hatte, dass ihre Freundin eine schwere Krankheit hat. Ein anderer Freund war gestorben. In der Andacht liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Nach der Andacht haben wir uns zusammengesetzt. Da war es gut, dass sie rauslassen konnte, was sie bedrückt. Sie sagte auch, das habe sie so bisher niemandem erzählen können. Wer will denn so was hören? Menschen bleiben gerade mit belastenden seelischen Eindrücken oft alleine. Dann ist es genau richtig, in die Kapelle der Urlauberseelsorge zu kommen – und damit zu Gott.
epd: Ich könnte mir gut vorstellen, dass es immer wieder auch um Beziehungen geht…
Maike Selmayr: Auf jeden Fall. Da ist die Frage, wie eine Versöhnung mit Ehepartnern, aber auch mit Kindern oder mit Freunden möglich ist. Manchmal bricht am Urlaubsort ein lange verdeckter Konflikt auf. Da sind Menschen oft hilflos. Solange alle gut miteinander klar kommen, ist es ja wunderbar. Aber wie gehe ich damit um, wenn ich in einer Beziehung scheitere? Wie kann ich mir und dem anderen vergeben? Wie kann ich sagen: Es tut mir leid? Solche Themen werden in Andachten der Urlauberseelsorge bedacht, natürlich in Bindung an das biblische Wort. Da wird aufmerksam hingehört. Viele Menschen sind für solche Anregungen im Urlaub offen. Im Alltag können sie so etwas meist nicht hören, weil sie über beide Ohren im Beziehungschaos stecken.
epd: Was erwarten die Leute da von Ihnen?
Maike Selmayr: In der Seelsorge geht es nicht um Ratschläge. Hinhören ist gefragt. Ehrlich hinschauen: Wo fehlt es an Liebe zu anderen, zu Gott oder auch zu mir selbst? Manchmal hilft es schon, wenn jemand einfühlsam zuhört und sagt, was er dazu denkt.
epd: Spielt dabei die relative Anonymität der Urlauberseelsorge eine Rolle? Sie sind ja nicht in der Rolle des Pastors in der Heimat, der seine Gemeindemitglieder gut kennt.
Maike Selmayr: Ja, die Anonymität ist eine Chance am Urlaubsort. Nicht jeder möchte, dass der andere genau weiß, wie es in seiner Seele ausschaut. Wobei wir in der Urlauberkapelle auch Stammgäste haben, die mehrfach im Jahr kommen. Andererseits treffen wir gerade bei unseren Freiluftandachten am Wasser oder auf dem Bauernhof zahlreiche Menschen, die selten in eine Kirche gehen, die dann aber bei der Strandandacht gerne im Namen Gottes in einer Gemeinschaft zusammen stehen, miteinander singen und beten. Unter freiem Himmel, mitten in der Schöpfung. Dann geht die Sonne unter und der Mond steigt auf – das berührt selbst ansonsten Hartgesottene.
epd/Dieter Sell
Urlauberseelsorge:
Die evangelische Urlauberseelsorge ist bundesweit in Tourismus-Hochburgen präsent. Überdies engagieren sich an mehr als 70 Orten im Ausland und auch auf Kreuzfahrtschiffen Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), damit Urlauber Erholung für die Seele finden – sei es in einer Strandandacht am Mittelmeer oder in einem Berggottesdienst in den Alpen. Zur Urlauberarbeit gehört die «Kirche unterwegs», die besonders mit Angeboten für Kinder und Familien auf Campingplätzen vertreten ist.
In Niedersachsen ist die Nordseeküste ein Schwerpunkt. In sieben Orten laden Urlauberseelsorger Erholungssuchende ein. Hinzu kommen Campingplätze etwa im Landkreis Osnabrück und in der Lüneburger Heide. Allein in der hannoverschen Landeskirche sind dabei mehr als
100 Ehrenamtliche im Einsatz. Besonders beliebt sind «Gute-Nacht-Geschichten» für Kinder im Kirchenzelt sowie Freiluft-Gottesdienste an Seen, am Strand, im Watt und auf dem Fischkutter.
Die Seelsorge auf den Zeltplätzen begann vor mehr als 60 Jahren: 1952 verteilte der westfälische Bergmann Eduard Herrmann als Ein-Mann-Mission auf Campingplätzen fromme Traktate. Später setzten evangelische Landeskirchen Sattelschlepper mit ausziehbaren Versammlungswagen ein. Später kamen unter dem Motto «Kirche unterwegs» Zelte und Wohnwagen zum Einsatz. Die Idee: Seelsorge und Mission von Campern unter Campern.
epd
Source: Kirche-Oldenburg