Celle (epd). Der Leiter der Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, sieht in den sogenannten «Spaziergängen» und den Internet-Foren der Corona-Skeptiker Gefahren für die Demokratie. Diese Gruppe setze Maßnahmen zum Infektionsschutz mit dem Holocaust gleich und verbreitete Hass und Verschwörungsmythen, sagte der Historiker am Sonnabend bei einer Demonstration in Celle. «Mit Holocaust-Verharmlosung und antisemitischen Verschwörungslegenden versuchen sie gezielt, die liberale Demokratie und die offene Gesellschaft zu bekämpfen.»

 

Zu der Kundgebung vor dem Celler Schloss hatte das «Aktionsbündnis Gelebte Demokratie» aufgerufen. Zuvor waren rund 150 Menschen mit Plakaten wie «Zeig Zivilcourage, lass Dich impfen» durch die Altstadt gelaufen. Wagner war von 2014 bis 2020 Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten mit Sitz in Celle und Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen bei Celle.

 

Der Historiker kritisierte die Gruppe «Celle steht auf», die seit Monaten regelmäßig gegen die Corona-Politik in der Fachwerkstadt demonstriert. In Chats würden dabei Zeichnungen mit antisemitischen Klischees und Videos geteilt, in denen etwa von einer «Weltverschwörung der Rothschilds» die Rede sei. Reichsbürger behaupteten auf Plakaten, dass in Deutschland ein Besatzungsregime herrsche. In einer Rede bei der Demonstration der Gruppe vor zwei Wochen habe ein Geschichtslehrer über Eliten schwadroniert, die man enthaupten müsse.

 

Statt sich von solchen Positionen zu distanzieren, behaupteten die Vertreterinnen und Vertreter von «Celle steht auf», die Antisemitismusvorwürfe seien aus der Luft gegriffen, und sie würden ungerechtfertigt in die Ecke gestellt, sagte Wagner. «Und dann beklagen sie, sie würden ausgegrenzt und die Gesellschaft sei gespalten.» Dies sei ein Agitationsmuster, das von der AfD bekannt sei: Erst würden Tabus bewusst gebrochen, und wenn es daran Kritik gebe, inszeniere man sich als Opfer angeblicher Ausgrenzung.

 

Wagner befürchtet, dass Menschen, die für Argumente nicht mehr zugänglich seien, auch nach dem Abklingen der Pandemie weitermachen, um dann gegen eine vermeintliche Klimalüge oder einen angeblichen Bevölkerungsaustausch zu Felde zu ziehen. «Die Spaziergänger und Corona-Kritiker sind eine Minderheit», sagte er. «Das kann sich aber schnell ändern, wenn wir ihnen nicht laut und deutlich widersprechen.»

Kirche-Oldenburg
Historiker: Sogenannte Spaziergänger sind Gefahr für die Demokratie