Intersexuelle Menschen haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Das Bundesverfassungsgericht hat im November zu ihren Gunsten geurteilt. Jetzt drängen sie auf mehr gesellschaftliche Anerkennung und auf rechtliche Konsequenzen.

Loccum/Wilhelmshaven (epd). Intersexuelle Menschen sind nach der Anerkennung eines «dritten Geschlechts» durch das Bundesverfassungsgericht optimistisch, dass sich ihre Situation verbessern wird. «Ich habe die Hoffnung, dass vor allem das Leid der Genitalverstümmelung bald ein Ende hat,» sagte Lucie Veith vom Bundesverband für Intersexuelle Menschen am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die zahlreichen positiven Reaktionen, die sie seit dem Urteil am 8. November auch von vielen nicht intersexuellen Menschen erhalten habe, zeigten, dass es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für ein drittes Geschlecht gebe.

Intersexuelle Menschen haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Nach Schätzungen trifft dies auf 80.000 bis 120.000 Menschen in Deutschland zu. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass es im Geburtenregister künftig neben «männlich» und «weiblich» einen alternativen Geschlechtseintrag für intersexuelle Menschen geben muss wie etwa «inter/divers» oder nur «divers» – das muss der Gesetzgeber nun entscheiden.

Lucie Veith ist selbst als Mädchen aufgewachsen. Sie heiratete einen Mann, bevor sie mit 23 Jahren erfuhr, dass sie intersexuell ist. Bis heute leben die beiden als Ehepaar zusammen. Dass sie mit dem weiblichen Pronomen «sie» bezeichnet wird, weil sie weiblich aussieht und auch so sozialisiert ist, ficht sie nicht an, bekannte sie einmal in einem Interview: «So lange wir Kinder wegen ihres Geschlechts verstümmeln, habe ich andere Sorgen als ein Pronomen.»

Durch das neue Gesetz werde erstmals in Deutschland anerkannt, dass es keine Krankheit sei, mit intersexuellen Geschlechtsmerkmalen geboren zu sein, sagte Veith am Mittwoch am Rande einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg. Intersexuelle Menschen würden nun als gleichwertig betrachtet, und ihnen werde ihr Selbstbestimmungsrecht zuerkannt.

Im preußischen Landrecht habe von 1749 bis 1937 habe schon einmal die Möglichkeit bestanden, in Geburtsurkunden neben männlich und weiblich auch «zwittrig» eintragen zu lassen. Die seit den 1930er Jahren bis heute üblichen Operationen, die Kinder eindeutig zu Jungen oder Mädchen machen sollten, seien damals nicht machbar gewesen. Bis heute sei es medizinische Praxis, intersexuelle Kinder zu operieren, bevor sie in die Pubertät kämen, kritisierte Veith. Eltern würden zur Zustimmung gedrängt mit dem Argument, ihre Kinder hätten später unter Diskriminierungen zu leiden, wenn sie nicht eindeutig als Mann oder Frau gälten.

Schwere körperliche und psychische Beeinträchtigungen auch aufgrund der anschließenden dauerhaften Hormonbehandlung seien häufig die Folge. «Diese schwere Menschenrechtsverletzung muss ein Ende haben.» Ein Verbot von kosmetischen Operationen an Genitalien ohne Einwilligung der betreffenden Person sei jetzt zwingend. Ein solcher Eingriff sei nichts anderes als vorsätzliche schwere Körperverletzung.

Veith hofft darüber hinaus auf ein neues Identitätsgesetz, dass in den Ministerien bereits in der Schublade liege. Das könne als Mantelgesetz alle betroffenen Rechtsbereiche an das neue Urteil anpassen: «Ich glaube, dass es eine Mehrheit dafür im Bundestag geben wird.»

Auch die Bremer Juristin Konstanze Plett hält es für sinnvoll, ein Verbot von kosmetischen Operationen explizit ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Sie hofft, dass durch die neue Aufmerksamkeit für das Thema Intersexualität und die bessere Aufklärung «mehr Eltern Mut bekommen, ihre Kinder nicht operieren zu lassen und offen mit deren Intersexualität umzugehen».

Ein Identitätsgesetz könne diskutiert werden, sei aber nicht zwingend nötig. Das Verbot der Diskriminierung von Intersexuellen könne in das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit aufgenommen werden, sagte Plett am Rande der Loccumer Tagung. Insgesamt müsse es jetzt darum gehen, Regelungen, die zum Schutz von Frauen erlassen wurden, auf Intersexuelle auszuweiten.

Lucie Veith sind vor allem grundlegende Änderungen in der Medizin und der Rechtsprechung wichtig. Kaum bekannt sei etwa, dass viele intersexuelle Menschen sexualisierter Gewalt ausgesetzt seien. Ein weiteres Problemfeld sei die mangelhafte Forschung in Bezug auf die Hormonkunde für erwachsene Intersexuelle. «Zugleich hat die Medizin bis heute die Oberhand über uns Intersexuelle.»

Veith, die evangelisch ist und in Schortens bei Wilhelmshaven lebt, forderte auch von ihrer Kirche eine klare Haltung für Vielfalt und gegen Diskriminierung: «Glauben wir denn, dass intergeschlechtliche Menschen keinen Sinn machen?» Es sei ein Eingriff in den göttlichen Plan, Intersexualität zerstören zu wollen, betonte Veith und berief sich auf die biblische Schöpfungsgeschichte: «Gott schuf den Menschen als Mann und Frau – nicht als Mann oder Frau.»
Source: Kirche-Oldenburg