Oldenburg (epd). Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sieht in der neuen 3G-Regel zum Schutz vor Corona die Einführung einer indirekten Impfpflicht durch die Hintertür. «Wenn die Impfung weiterhin freiwillig sein soll, dürfen Impfunwilligen keine Nachteile entstehen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen», sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Entstehen für sie Nachteile, werden sie diskriminiert, und das lässt unsere Verfassung nicht zu.» Nach der 3G-Regel haben Menschen nur dann Zutritt zu bestimmten Einrichtungen oder Veranstaltungen, wenn sie vollständig gegen Corona geimpft, von Covid-19 genesen oder negativ auf das Virus getestet sind.

 

Sowohl für eine direkte Impfpflicht per Gesetz als auch für eine indirekte Impfpflicht, die durch öffentlichen Druck erzeugt wird, seien die gleichen Voraussetzungen gültig, sagte Boehme-Neßler. «Eine Impfpflicht greift in viele Grundrechte ein. Da geht es um die Grundrechte auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf körperliche Selbstbestimmung, auf Kindeserziehung und sogar um die Religionsfreiheit.» Darum könne ein so gravierender Eingriff in die Verfassung nicht durch einen ministeriellen Erlass erfolgen: «Das darf nur der Bundestag per Gesetz regeln. Da müssen die Parlamentarier Stellung beziehen.» Das bedeute: «Bisher gibt es keine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Impfpflicht.»

 

Das Grundgesetz überlasse den einzelnen Menschen selbst die letzte Entscheidung über seinen Körper und seine Gesundheit, betonte der Jurist. Es garantiere, dass der Mensch selbst und nicht der Staat entscheidet, welche Impfungen er erhalten will. «Eine Impfung zum Schutz der eigenen individuellen Gesundheit darf der Staat seinen Bürgern nicht verpflichtend auferlegen.»

 

Die angestrebte Herdenimmunität, die tiefgreifende Einschränkungen durch Lockdowns verhindern könne, könnte ein legitimer Grund für eine Impfpflicht sein, räumte Boehme-Neßler ein. Allerdings blieben die genannten Eingriffe in die Grundrechte ein Problem: «Die sind nur dann verfassungsgemäß, wenn sie auch wirklich erforderlich sind und keine milderen Mittel denkbar sind.»

 

Darum sei Kreativität gefragt, «denn Menschen lassen sich durch Vernunft, Fakten und Anreize überzeugen». Aufklärungskampagnen und Anreizsysteme könnten mildere, aber gleich wirksame Mittel im Vergleich zu einer Impfpflicht sein.

 

Impfungen müssten viel leichter möglich werden, forderte Boehme-Neßler. Denkbar sei etwa, dass bei öffentlichen Veranstaltungen immer kostenlose Impfungen angeboten würden. Apotheken, Drogerien und sogar Supermärkte könnten Impfangebote machen. Impfbusse mit Muttersprachlern sollten regelmäßig in die sozialen Brennpunkte fahren. Außerdem müssten mehr Anreize geschaffen werden. US-Präsident Joe Biden habe die Impfung zum patriotischen Akt ausgerufen. Andernorts gebe es für die Impfung ein Lotterielos bis hin zum sprichwörtlichen Freibier. «Die Grenzen der Fantasie sind da noch lange nicht erreicht.»

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Jurist: 3G-Regel ist Impfpflicht durch die Hintertür