Donnerstagmorgen, 9 Uhr. Das dunkelblau-weiß gestreifte Zelt füllt sich mit verschlafenen Augen und gähnenden Mündern. Die erste Nacht war kalt und kurz, aber Letzteres fanden die Jugendlichen nicht so schlimm, sagen sie. Als die Band vorne auf der Bühne ihre Instrumente in die Hand nimmt, sind die Erwartungen klar: Bestimmt kommt gleich „Laudatosi“ oder „Kumbaya, My Lord“, aber falsch gedacht. KonfiCamp im Jahr des 500. Reformationsjubiläums bedeutet, näher als je zuvor an der Lebensrealität der Jugendlichen dran zu sein. Und so stimmen die Musiker als Guten-Morgen-Song „Radioactive“ von der US-Indie-Band Imagine Dragons an.
 
296 Konfis aus dem Oldenburger Land

Es ist die dritte und am stärksten besuchte Woche in der Wittenberger Zeltstadt für Konfirmanden aus der ganzen Bundesrepublik. Gemeinsam mit ihren Teamerinnen und Teamern, Pfarrerinnen und Pfarrern, Diakoninnen und Diakonen sowie den Kräften des ortsansässigen Veranstaltervereins Reformationsjubiläum 2017 sind sie rund 1.500 Menschen, die von Mittwoch bis Sonntag hier zusammenleben – „fast so viele, wie zu Martin Luthers Zeiten in der Lutherstadt Wittenberg wohnten“, sagt Pfarrer Matthias Hempel. Er ist bereits zum zweiten Mal mit Jugendlichen der oldenburgischen Kirche vor Ort. In dieser Woche sind es 296 Konfis aus den Wilhelmshavener Gemeinden Altengroden, Fedderwardergroden, Sengwarden und Voslapp, aus Altenesch, Bardewisch, Burhave, Eckwarden, Friedrich-August-Hütte, Holle-Wüsting, Langwarden, St. Stephanus-Delmenhorst, Stollhamm, Tossens, Waddens und Wildeshausen.
 
Enthusiastisch klatscht und singt Pfarrer Hempel mit. „In vielen Liedern aus den Charts werden Glaubensfragen behandelt“, sagt der Beauftragte der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg für die Konfirmandenzeit. „Kleine Gemeinden haben bei sich zuhause nicht die Möglichkeit, Bands einzuladen oder Videos zu relevanten Themen der Jugendlichen zu drehen. Hier im KonfiCamp, wo viele zusammenkommen, ist das anders.“ Das Moderatorenteam auf der Bühne ist nur wenige Jahre älter als die Konfirmandinnen und Konfirmanden. Sie haben das Potential, von den Jugendlichen als Vorbilder gesehen zu werden und ihnen so den Zugang zu Diskussionen über Zweifel, Sorgen und Identitätsfindung zu erleichtern.
 
Auch auf SnapChat und Instagram
Nach drei weiteren Liedern und einem Film zur Einstimmung auf die erste Gruppenarbeit des Tages ruft Moderator Martin ins Mikro: „Wer der Crew aus dem Film, den wir euch gerade gezeigt haben, folgen will – ihr findet sie auf SnapChat und Instagram!“
 
Auch in den Arbeitseinheiten in Kleingruppen vertrauen viele der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Diakoninnen und Diakone auf ihre jungen Teamerinnen und Teamer als Themenscouts. „Die kennen die Welt der Jugendlichen viel besser als unsereins, die wir ja schon eher der Eltern- oder Großelterngeneration angehören“, sagt Hempel. Er und seine Kolleginnen und Kollegen nehmen sich also etwas zurück, arbeiten den Gruppen zu und sorgen für den theologischen Input.
 
Wittenberg ist ein Startpunkt
Frank Jaeger von der Evangelischen Jugend Friesland-Wilhelmshaven, Pfarrer Lars Löwensen aus der Gemeinde Wildeshausen und Pfarrer Peter Sicking von der Kirchengemeinde Voslapp waren im März dabei, um mit 150 Teamerinnen und Teamern in Ahlhorn das KonfiCamp vorzubereiten. Wittenberg sei ein Startpunkt dafür, dass sie in Zukunft immer mehr zusammen und gemeindeübergreifend machen wollen, erzählen sie. Die Stimmung sei sehr besonders: „Gestern im sogenannten Dom, der Zeltkirche auf dem Gelände, war es proppenvoll. Bei der Andacht wurde es dann aber ganz still und hinterher applaudierten die Konfis!“, berichtet Pfarrer Sicking begeistert.
 
Und was passiert an diesem Tag noch? Die Jugendlichen bauen eine Wertepyramide, die zeigen soll, was ihnen im Leben wichtig ist. Um 12 Uhr packen sie ihre Lunchpakete und dann geht es in die City zum Touristenmagnet Asisi-Panorama, dem Melanchthon- und dem Cranach-Haus, dem Kletterparcours auf der Wittenberger Weltausstellung Reformation und zu einer historischen Stadtführung. Eisessen darf natürlich auch nicht fehlen. Am Abend treffen sich die drei Zeltdörfer aus der oldenburgischen Kirche dann zu einer Andacht in der Schlosskirche.
 
Aber auch in den Stunden auf dem Campgelände gibt es etliches zu entdecken. Alle Teilnehmenden bekommen ein sogenanntes Logbuch mit Rätseln, Liedern, Glaubenstexten. Damit sollte sich hier jede/jeder zurechtfinden, sagt Hempel. Bibliotheken in Baumstämmen auf der Wiese laden zum Teilen von Literatur ein, in einer Backstube von Brot für die Welt können Konfis gemeinsam backen, und wer mal seine Ruhe braucht, kann die Schränke auf dem Gelände als Rückzugsort nutzen. Sechs Stück haben Konfirmandengruppen aus der oldenburgischen Kirche „aufgehübscht“ und mit Fragen versehen: Wie kommt mehr Himmelblau ins Alltagsgrau?, steht da. Oder: Brot kann schimmeln. Was kannst Du?
 
Herzensprojekt „Textile Kirche“
„Für die Konfis ist das abgefahren, dass ihr Schrank hier im KonfiCamp ist, wo auch sie nach stundenlanger Fahrt hingekommen sind. Und dass es andere Menschen gibt, die eine schriftliche Rückmeldung darin hinterlassen.“ Sandra Bohlken ist Kreisjugenddiakonin in der Wesermarsch. Sie kümmert sich beim KonfiCamp nicht nur um die Schränke. Ihr Herzensprojekt ist die „Textile Kirche“, ein kleiner roter Pavillon mit verkleideten Kissen in der Mitte und beschrifteten Etiketten, die von der mit Klamotten behangenen Decke baumeln. „Du hältst mich“ steht da an einen Büstenhalter befestigt. Oder beim Korsett: „Gott kann mir eine Stütze sein“. „Vor zwei Jahren haben wir mit dem Projekt begonnen, um neue Metaphern für Gottesbilder zu finden“, erklärt Bohlken. Sie freut sich, wenn die Jugendlichen die textile Kirche zum „Reinkuscheln, Runterkommen und Chillen nutzen“, sagt sie. Und vielleicht kommt ja der eine oder andere beim Lesen der Etiketten auf neue Gedanken. Für Teamerionnen und Teamer sowiePfarrerinnen und Pfarrer sollen die Wort gewordenen Gottesbilder ebenso eine Anregung sein.
 
„Trust & Try“
2017 ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmejahr. Dazu passt das KonfiCamp, bei dem alles XXL ist. Ein guter Ort, um dem Motto „Trust & Try“ (Vertrau und probier) nachzuspüren, meint Pfarrer Hempel. Die Jugendlichen sollen sich darin üben, aufeinander zu vertrauen und Neues auszuprobieren. Aber nicht nur die. „Auch wir Kolleginnen und Kollegen kommen in Extremsituationen, in denen wir auf uns selbst und das Team vertrauen müssen. Und gerade die älteren können beim Leben in der Zeltstadt ausprobieren, was noch geht.“ Mitte Juli kommt die letzte Gruppe Konfis aus der oldenburgischen Kirche nach Wittenberg. Matthias Hempel ist dann zwar nicht mehr zur Begleitung der Gruppen eingeteilt, aber das KonfiCamp-Fieber hat ihn längst gepackt: „Vielleicht komme ich trotzdem mit, um zu sehen, wie sich hier alles weiterentwickelt hat.“

Ein Beitrag von Christina Özlem Geisler.

Source: Kirche-Oldenburg