Mit einem feierlichen Gottesdienst und einem Fest unter freiem Himmel ist die evangelische Theologin und frühere hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann am Sonnabend in den Ruhestand verabschiedet worden. Der heutige hannoversche Landesbischof Ralf Meister würdigte seine Amtsvorgängerin in der Marktkirche in Hannover als «Frau mit einem außerordentlichen Charisma». Käßmann, die als erste Frau an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stand, war zuletzt als Botschafterin für das 500. Reformationsjubiläum im Einsatz. Von 1999 bis 2010 war die heute 60-Jährige Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
In ihrer Predigt rief Käßmann dazu auf, die «Hoffnungsbilder» des christlichen Glaubens zu verfolgen, die für Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Frieden und Gerechtigkeit stünden: «Wir dürfen quer denken und neue Wege wagen, wo andere starr am Alten festhalten.» Statt der Hoffnungsbilder malten viele heute jedoch gern Schreckensbilder, um Wahlen zu gewinnen. Dagegen müssten sich Christen aufbäumen. «Wir brauchen Weltverbesserer, auch wenn das für manche inzwischen ein Schimpfwort ist», unterstrich die Theologin.
Zu der öffentlichen Feier rund um die Marktkirche kamen rund 2.000 Gäste. Bei strahlendem Sommerwetter verfolgten viele im Freien eine Übertragung des Gottesdienstes, hörten vor einer großen Bühne Live-Talks und Grußworte und lauschten den Rhythmen des Popmusikers Dieter Falk und seiner Band.
Bischof Meister sagte, Käßmann sei in vielen kirchlichen Ämtern die erste Frau gewesen. «Du hast damit viele Frauen und auch Männer ermutigt und die Gleichstellung vorangetrieben – werbend, fröhlich, beispielgebend.» Allerdings habe sie sich manche Freiräume auch hart erkämpfen müssen. Durch ihre charismatische Amtsführung habe Käßmann auch manche Rollenerwartung verändert: «Du hast etablierte Modelle befragt und sprühend neue Ideen und Positionen hineingetragen», sagte der Bischof unter Applaus.
Die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, entpflichtete Käßmann von ihrem Auftrag als Reformationsbotschafterin des Rates der EKD.
Käßmann habe der evangelischen Kirche «ein unverwechselbares Gesicht und eine prominente Stimme gegeben – eine weibliche Stimme», sagte sie.
Auf dem Marktplatz betonte Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD), Käßmann habe sich in all ihren Ämtern für eine politische Kirche eingesetzt, die für die «Vergessenen und Zurückgelassenen» eintrete und Kontroversen nicht scheue: «Ich danke Ihnen für manch wichtige An- und Aufregung und hoffe auf viele weitere Impulse aus Ihrem Munde und Ihrer Feder auch nach Ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Kirchendienst.»
Irmgard Schwaetzer hob als Präses der EKD-Synode Käßmanns Verdienste als Reformationsbotschafterin hervor. Bei Kongressen und Gottesdiensten, in Talkshows und Zeitungskolumnen habe Käßmann unermüdlich für das 500. Reformationsjubiläum geworben. So habe sie viele Menschen erreicht, denen dieses Jubiläum sonst fremd geblieben wäre.
Das katholische Bistum Hildesheim dankte Käßmann in einer schriftlichen Erklärung für das vertrauensvolle ökumenische Miteinander insbesondere während ihrer Amtszeit als hannoversche Bischöfin von 1999 bis 2010. Sie habe sich nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Katholiken und Protestanten in Niedersachsen und darüber hinaus gemeinsam gehandelt hätten. «Ihre offene und kommunikative Art hat ihr dabei ebenso geholfen wie ihre hohe fachliche Kompetenz», erklärte Weihbischof Nikolaus Schwerdtfeger.
Käßmann arbeitete unter anderem für den Ökumenischen Rat der Kirchen und die Evangelische Akademie Hofgeismar sowie als Dorfpastorin und als Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags. 2009 wurde sie Ratsvorsitzende der EKD. Sie blieb dies aber nur wenige Monate bis zu ihrem Rücktritt von allen kirchlichen Ämtern, nachdem sie unter Alkoholeinfluss Auto gefahren war.
epd
«Es fehlt eine Kultur der Barmherzigkeit»
Die Theologin Margot Käßmann über die Flüchtlingsdebatte in Deutschland und Europa
Die Theologin Margot Käßmann (60) tritt in den Ruhestand. Während ihrer Amtszeit hatte sich die frühere hannoversche Landesbischöfin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stets für Flüchtlinge und Asylsuchende eingesetzt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert sie, wie sie die aktuelle politische Situation in dieser Frage einschätzt.
epd: Frau Käßmann, in Deutschland und auf europäischer Ebene tobt momentan ein heftiger Streit um den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Wie sehen Sie das?
Käßmann: Ich finde es dramatisch, dass nur noch gestritten wird, wie wir Flüchtlinge abwehren und abhalten können, und das Schicksal dieser einzelnen Menschen, die in Not geraten sind und in Europa Frieden und Freiheit suchen, gar nicht mehr gesehen wird. Da fehlt mir eine Kultur der Barmherzigkeit.
epd: Halten Sie das politische Klima momentan für vergiftet?
Käßmann: Ja, das politische Klima ist vergiftet, ganz besonders auch durch die AfD und die Sprache, die sie spricht. Indem ständig Tabus überschritten werden, Menschen aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe niedergemacht werden. Diese Enttabuisierung lässt die Sprache verrohen. Und ich fürchte, die ist dann auch die Grundlage für Gewalt gegen Menschen.
epd: Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?
Käßmann: Wir müssen alle dagegenhalten, dass hier über Menschen, weil sie muslimischen Glaubens sind, weil sie aus Afrika stammen, derart negativ gesprochen wird. Deutschland ist ein Land mit Migration. Und wir werden sozusagen postmigrantisch definieren müssen, was es heißt, deutsch zu sein.
epd: Was macht Ihnen Hoffnung?
Käßmann: Mir machen die vielen jungen Leute Hoffnung, die sich engagieren, die ich auch erlebt habe in den letzten Jahren. Die werden dafür eintreten, dass dieses Land ein liberales, ein freies, ein weltoffenes Land bleibt.
epd/Michael Grau
Source: Kirche-Oldenburg