Celle (epd). Hans-Hagen Nolte war ein kleiner Junge, als sich ab 1948 in der elterlichen Wohnung in Celle regelmäßig Mitglieder einer Bruderschaft trafen. Sie redeten viel über Politik, sprachen auch über Fluchtpläne und brachten dem jungen Hans-Hagen Geschenke mit. Erst viele Jahre später verstand Nolte, dass es sich bei den «netten Onkels» von der Bruderschaft um einstige NS-Größen und gesuchte Kriegsverbrecher handelte, die bei seinem Vater Hans Nolte Unterschlupf fanden. Noltes Vater war auch an der Flucht Adolf Eichmanns aus Deutschland beteiligt. Jetzt hat Hans-Hagen Nolte, ein ehemaliger Schulleiter, seine Erinnerungen unter dem Titel «Messerscharf. Versuch, sich seinen Nazi-Vater von der Seele zu schreiben» veröffentlicht.

«Ich war bei der Waffen-SS, Leibstandarte Adolf Hitler» – so stellte sich Hans Nolte unbekannten Personen nach dem Krieg vor. Er war stolz darauf, schon 1932 in die NSDAP eingetreten zu sein. Er war stolz auf seine Tätigkeit als Schriftleiter bei Zeitungen ab 1933 in Papenburg, Osnabrück, Lüneburg und Celle, in der er als engagierter Journalist die nationalsozialistische Politik pries. Und er war stolz auf seine freiwillige Meldung zur Waffen-SS und seine Aufnahme in die Leibstandarte SS Adolf Hitler, auf deren Konto Massenmorde gingen.

Über die Einsätze hat Nolte Kriegstagebuch geführt. Sein inzwischen 73-jähriger Sohn hat sich für das Buch erstmals getraut, diese Aufzeichnungen zu lesen. «Anfang der 70er Jahre habe ich zufällig in das Tagebuch meines Vaters reingeschaut und eine Seite über das Warschauer Ghetto gelesen. Danach war ich total erschlagen und habe es 40 Jahre nicht mehr angerührt. Doch man kann davor nicht fliehen, es belastet einen seelisch», sagt Nolte. In welchem Umfang sein Vater an Verbrechen beteiligt war, bleibt offen – das Kriegstagebuch bricht Ende 1943 ab.

Im Entnazifizierungsverfahren wurde der Vater als Mitläufer eingestuft, bis 1973 war er bei der Celleschen Zeitung Sportredakteur. Auch in dieser Funktion schrieb er häufig Artikel, die seine braune Gesinnung belegen. Seine Vergangenheit hat Nolte in der Erinnerung seines Sohnes immer nur in den schönsten Farben dargestellt: «Da ging es vor allem um Kameradschaft, die SS sei immer eine saubere Truppe gewesen. Juden wurden nie erwähnt. Der Massenmord in den KZs wie Bergen-Belsen oder Dachau kam nur indirekt zur Sprache – den relativierte man, denn ‘die anderen’ hätten ja auch ihre Konzentrationslager gehabt.»

Das im Selbstverlag erschienene Buch schildert, wie Hans Nolte bis zu seinem Tod 1978 mit dieser Einstellung nicht Außenseiter war, sondern von den Spitzen der Gesellschaft als «aufrechter Deutscher» geschätzt wurde. «Ich fühle mich nach der Veröffentlichung freier, sonst lastete auf mir immer so ein Druck. Aber mit dieser Geschichte ist man nie ganz fertig», sagt der Sohn. Er hatte seine Erinnerungen ursprünglich für seine Familie zu Papier gebracht, bevor er von Freunden zu einer Veröffentlichung ermutigt wurde.

Info
Das Buch «Messerscharf. Versuch, sich seinen Nazi-Vater von der Seele zu schreiben» ist im Selbstverlag erschienen. ISBN: 978-3-7418-9956-0
  
Source: Kirche-Oldenburg