epd-Gespräch: Michael Grau

Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer warnt davor, aus der Debatte um den Fußballer Mesut Özil allzu weitreichende Schlüsse über die Integration von Zuwanderern in Deutschland zu ziehen. «Das ist der spezifische Sonderfall eines millionenschweren Sportlers, der umgeben ist von hochprofessionellen Beratern», sagte Oltmer am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Özil habe sich mit seiner Rücktrittserklärung aus der Nationalelf und seinem Rassismus-Vorwurf an den Deutschen Fußball-Bund (DFB) aus einem Dilemma befreien wollen. An dem Fall lasse sich viel über Sport und Macht ablesen, aber wenig über den tatsächlichen Stand der Integration.

Der türkischstämmige, in Deutschland geborene Fußballer Özil sei vom DFB zur Symbolfigur für eine erfolgreiche Integration aufgebaut worden, sagte Oltmer, der als Professor am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück lehrt. Die Botschaft sei gewesen, dass der Sportler in der deutschen Gesellschaft «angekommen» sei. Das habe funktioniert, solange der DFB Erfolge vorweisen konnte. Wenn der Erfolg aber ausbleibe, werde dieses Bild hinterfragt. Nach der WM-Pleite sei Özil als einziger Spieler in den Vordergrund gerückt und insofern zum Sündenbock erklärt worden.

Oltmer kritisierte, dass in der Gesellschaft ganz unterschiedliche Bilder darüber existierten, was Integration bedeute. Viele Menschen verständen Integration als Anpassung an eine vermeintliche Mehrheitsgesellschaft. Sie seien der Meinung, in dem Maße, in dem die Zugehörigkeit zu Deutschland steige, müsse das Zugehörigkeitsgefühl etwa zur Türkei abnehmen. Das aber sei grundfalsch. «Integration ist in hohem Maße gekennzeichnet durch ein Dazwischen und ein Sowohl-als-auch», unterstrich Oltmer. Ein Mensch könne sich zugleich der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland zugehörig fühlen. Das sei völlig normal.

In dieser Perspektive sei das umstrittene Foto von Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan vor der Fußball-WM durchaus folgerichtig. Der Fußballer habe damit seine «Follower» in der Türkei ansprechen wollen. «Özil ist eine Firma», sagte Oltmer. «Wenn ich will, dass mir möglichst viele Menschen folgen, muss ich unterschiedliche Interessen bedienen.» Eine ähnliche Funktion hätten bereits die Fotos des Fußballers mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) gehabt.

Durch die aktuelle Debatte werde er auf der einen oder anderen Seite Anhänger verlieren, prognostizierte der Migrationsforscher. Den Schaden hätten er selbst und der DFB. Oltmer verwies darauf, dass die Integration von Zuwanderern im Alltag in Millionen von Fällen erfolgreich verlaufen sei, ohne dass viel darüber geredet werde und werden müsse.

Internet: www.imis.uni-osnabrueck.de

Source: Kirche-Oldenburg