Hannover (epd). Der neue Antisemitismus-Beauftragte des Landes Niedersachsen, Franz Rainer Enste, setzt beim Kampf gegen Judenhass vor allem auf gesellschaftliche Aufklärung. In der Bevölkerung kursierten nach wie vor «oberflächliche Klischees, die mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun haben», sagte Enste dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Wir müssen systematisch am Abbau dieser Vorurteile arbeiten. Die meisten Menschen haben noch nie mit einem Juden gesprochen.»
Zu den judenfeindlichen Denkansätzen gehörten auch abstruse Weltverschwörungstheorien, erläuterte Enste mit Blick auf den Angriff auf die Synagoge in Halle im Oktober. Der mutmaßliche Täter Stephan B. hatte nach seiner Festnahme in einem Geständnis antisemitische Motive offengelegt.
Eine wichtige Rolle bei der Aufklärung spiele die Schule, sagte Enste. Schon in der Grundschule müssten Respekt und Toleranz eingeübt werden: «Es reicht nicht, sich in gewiss hoch qualifizierten Leistungskursen des Gymnasiums mit verschiedenen Auswirkungen des NS-Unrechtsstaates zu beschäftigen», erläuterte er. «Wir müssen sehr viel früher ansetzen, um einen tiefsitzenden Respekt und eine respektvolle Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen zu vermitteln.» Enste appellierte an Lehrer und Schulleiter, Besuche in Gedenkstätten für frühere Konzentrationslager wie in Bergen-Belsen bei Celle oder Esterwegen bei Papenburg auf den Lehrplan zu setzen.
Jeder Schüler und jede Schülerin sollte eine solche Fahrt mindestens einmal in der Schulzeit erlebt haben. «Die Erinnerungskultur hat eine besondere Bedeutung, um unser Land zu immunisieren gegen alle Tendenzen, die Menschen bedrohen und Unfreiheit erzeugen», betonte Enste. «Es kommt darauf an, das junge Menschen mit Menschen jüdischen Glaubens zusammenkommen.»
Mit Blick auf den 81. Jahrestag der «Reichspogromnacht» am 9. November mahnte Enste zu «absoluter Wachsamkeit». Es gehe darum zu verhindern, dass das Land erneut in eine Situation abgleite, in der die Menschenwürde in großem Stil verletzt werde wie in der NS-Zeit. Enste zeigte sich erfreut über die vielen Solidaritätsaktionen vieler Menschen aus unterschiedlichen Religionen nach dem Synagogen-Angriff in Halle.
Scharfe Kritik übte der Beauftragte an Hassparolen wie «Israel ist unser Unglück». Plakate mit dieser Aufschrift waren im Mai im Europa-Wahlkampf aufgetaucht. «Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie wir konsequenter gegen Hetzparolen vorgehen», sagte Enste. Die Justiz werde dies intensiv überprüfen. «Ansonsten steht es gerade unserem Land gut zu Gesicht, sich konsequent und mit allem Nachdruck für die friedliche Lösung von Konflikten – wo auch immer – einzusetzen.»
Der frühere Regierungssprecher Enste (66) war von der Landesregierung als erster Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Niedersachsen eingesetzt worden. Der promovierte Jurist trat seine ehrenamtliche Aufgabe am 1. November an. Seine Stelle ist dem Justizministerium zugeordnet. Enste kündigte an, er werde demnächst intensive Gespräche mit jüdischen Gemeinden sowie mit Sicherheitsbehörden und dem Verfassungsschutz führen.
Source: Kirche-Oldenburg