In einigen Regionen gehen sie zu Ende, woanders beginnen sie gerade: die großen Ferien. Jeder zweite Schüler lernt auch im Sommer: Nachhilfe, Sprachkurse, Büffeln zu Hause. Sollten sie nicht auch einfach mal freihaben? Unbedingt, sagen Forscher.

Braunschweig/Berlin (epd). Emily, Max, Maria und Anna können es kaum erwarten, den Klassenraum zu verlassen. Es ist stickig in dem kleinen Zimmer, Seitenflügel Altbau Erdgeschoss in Berlin-Wilmersdorf. Vor dem Fenster der Sprachschule «Die Neue Schule» summen die Bienen durch die Hortensiensträucher. Drei Stunden lang haben die vier Schüler zusammen Englisch gelernt, zwei Wochen dauert ihr Ferienkurs.

«Ich musste hierher wegen des Gymnasiums», sagt die zwölf Jahre alte Emily. In Berlin wechseln die Kinder nach der sechsten Klasse in die Sekundarstufe. Ihre Mutter habe darauf bestanden, dass sie den Kurs als Vorbereitung mache, obwohl sie eine Zwei in Englisch habe.

Der 15-jährige Max würde sich gern von einer Vier auf eine Drei steigern. «Wäre schon schöner», sagt er, sehe ja auch besser aus auf dem Zeugnis. Auch ihn hat die Mutter zum Kurs überredet: «Ich finde das schon sehr wichtig, dass die Kinder die Angst vorm Englischsprechen verlieren», sagt Alexa Kummer. «Englisch wird meiner Ansicht nach in den Schulen gar nicht genug gemacht.»

Weil Max auf einen Auslandaufenthalt erst recht keine Lust hatte, sitzt er nun also in Wilmersdorf im Kurs. «Er ist 15 Jahre alt. Wenn er wirklich gar nicht wollte, könnte er das ja auch lassen», erklärt die Mutter.

Lehrerin Maxine Keleher versucht, den Unterricht möglichst entspannt und eher spielerisch zu gestalten. Ihrer Erfahrung nach ist die Zusammensetzung der Schüler typisch: etwa drei Viertel hätten es eigentlich nicht nötig, in ihrer Ferienzeit einen Kurs zu besuchen. «Natürlich kann man sich immer noch verbessern», sagt sie, «aber viele Eltern sind wahrscheinlich auch einfach sehr anspruchsvoll.»

Laut einer Forsa-Umfrage vom Mai dieses Jahres, die die Internet-Lernplattform Scoyo in Auftrag gegeben hat, lernen 55 Prozent aller schulpflichtigen Kinder auch in den Ferien. Der Braunschweiger Biologe und Lernforscher Martin Korte sieht das kritisch. «Die Kinder brauchen auch mal Pause und Erholung», sagt er.

Mindestens drei Wochen sollten die Kinder seiner Erkenntnis nach daher gar nichts mit Schule zu tun haben. Natürlich spreche prinzipiell nichts dagegen, dass Schüler in der restlichen Zeit Kurse besuchten – wenn sie es denn selbst wollten.

Die zehnjährige Lana wollte zum Beispiel unbedingt Mathe-Nachhilfe haben. «Sie kam immer nach Hause und hat geweint, dass sie das nicht versteht», sagt Lanas Mutter. Sie suchte im Internet und stieß auf ein Nachhilfeinstitut. Bis zu den Ferien hatte Lana jede Woche eineinhalb Stunden Mathematik bei ihrer Lehrerin Kim, die ihr das Multiplizieren noch einmal von Grund auf beibrachte. Weil das so gut klappte, hat Lana jetzt noch eine Woche Rechtschreibung und Interpunktion und eine Woche Englisch in den Ferien belegt – freiwillig, wie ihre Mutter sagt.

Neurobiologe Martin Korte ist der Ansicht, dass Defizite möglichst im laufenden Schuljahr und nicht in den Ferien behoben werden sollten. Swantje Goldbach hingegen, Autorin und Leiterin des reformpädagogisch ausgerichteten Berliner Nachhhilfeinstituts «Lernwerk», sieht das anders: «Viele Kinder sind während der Schulzeit so gestresst, dass sie gar keine Kapazitäten mehr haben, noch mehr zu lernen». Das gelte insbesondere für Kinder, die früh eingeschult worden seien oder in Ganztagsschulen gingen.

In den Ferien seien die Kinder viel entspannter, sagt die Pädagogin. Mehr als eine Woche der freien Zeit für Kurse zu opfern, hält aber auch sie für falsch.

Ein weiterer Grund, warum viele Eltern das Lernen in den Ferien befürworten, ist der sogenannte Ferieneffekt: Wer sich sechs Wochen lang gar nicht mit einem Thema befasst, vergisst vieles wieder. Das ergab zumindest eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 1996. Die Forscher verglichen Klausurergebnisse vor und nach den Sommerferien. Auch in Deutschland wurde der Effekt von Wissenschaftlern der Universität Siegen untersucht. Demnach ist besonders das Fach Mathematik vom Ferieneffekt betroffen. Lernen und Wiederholen in den Ferien könnten dem vorbeugen.

«Man sollte eigentlich von jedem guten Mathelehrer erwarten können, dass er den Stoff aus dem Vorjahr in den ersten Stunden nach den Ferien noch mal auffrischt und mit dem neuen verknüpft», urteilt hingegen Korte. Da das Gehirn nämlich nur funktionell, aber nicht strukturell vergesse, erinnerten sich die Schüler nach kurzer Zeit wieder an den Stoff vom Vorjahr.

Insgesamt sollten Eltern sich seiner Ansicht nach gut überlegen, ob man den Kindern mit Ferienkursen nicht Zeit wegnehme, in denen sie andere wichtige Erfahrungen machen könnten, sagt der Lernforscher. Lernen finde schließlich nicht nur in der Schule statt.

Das scheinen auch die Mehrzahl der Eltern so zu sehen: Viel wichtiger als Lernen in den Ferien ist den meisten laut der Forsa-Umfrage, dass die Kinder selbstbewusster und selbstständiger werden und ihre Kreativität entwickeln.

Source: Kirche-Oldenburg