Oldenburg (epd). Der Oldenburger Psychiater Claus Bajorat sieht den vom Bundesverfassungsgericht gewiesenen Weg einer Liberalisierung des ärztlich assistierten Suizids mit Sorge. «Wir dürfen als Gesellschaft nicht dahin kommen, dass Bürgerinnen und Bürger den Suizid als normale Option empfinden», sagte der Mediziner anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September. «Die Gefahr besteht, dass sich Menschen, die sich als überflüssig und einsam empfinden, unter Druck gesetzt fühlen, diesen Weg zu gehen.»

 

Dies sei etwa mit Blick auf alleinstehende, ältere, psychisch kranke und pflegebedürftige Menschen zu befürchten, sagte er. In diesen Gruppen sei die Suizidrate ohnehin erhöht. Auch die Mehrheit der Psychiaterinnen und Psychiater stehe der Liberalisierung der Sterbehilfe kritisch gegenüber. Bajorat ist Psychiater der Universitätsmedizin Oldenburg und Projektleiter des Bündnisses gegen Depression Weser-Ems.

 

Suizidversuche seien fast immer Folge und Ausdruck einer psychischen Erkrankung, die behandelt werden könne, betonte der Arzt. Er habe bereits viele Betroffene erlebt, die wider eigenem Erwarten zu einer normalen Lebensqualität zurückgefunden haben und wieder Lebensfreude empfinden. Studien aus anderen Ländern zeigten, dass sich bei einer Liberalisierung der assistierten Selbsttötung mehr Menschen für diesen Weg entscheiden. «Wir laufen Gefahr, Menschen zu verlieren, die das bei anderer Betrachtung ihrer Gesamtsituation vielleicht doch nicht gewollt hätten.»

 

Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Zahl der Menschen, die durch Suizid sterben, seit 1980 halbiert. Seit Jahren stagniert sie bei 9.000 bis 10.000. «Eine der Ursachen für diese Entwicklung sehe ich darin, dass psychische Erkrankungen entstigmatisiert und häufiger diagnostiziert werden», sagte Bajorat. Auch die Medikamente zur Behandlung von Depressionen und die psychotherapeutische Versorgung seien besser geworden. Dennoch stürben immer noch weit mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle oder Gewalttaten. Fast drei Viertel der Betroffenen seien Männer. Hingegen verübten Frauen häufiger Suizidversuche.

 

Indes gebe es starke Hinweise, dass in der Gruppe der religiösen oder spirituell geprägten Menschen sowohl psychische Erkrankungen als auch Suizide seltener auftreten, ergänzte Bajorat. «Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Es gibt sicher Halt, einen Sinn über das eigene Leben hinaus zu empfinden. Auch der Gemeinschaftsaspekt von Religion ist eine psychische Ressource.»

 

Doch auch der Trauer solle der Welttag der Suizidprävention Raum geben, sagte der Psychiater: «Der Tag soll auch dem akzeptierenden Gedenken an die Menschen dienen, die für sich diesen Weg gewählt haben und von ihren Angehörigen schmerzlich vermisst werden.»

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Psychiater: Suizid darf keine «normale Option» werden