Erfurt/Hannover (epd). Die Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund ist die designierte Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2025 in Hannover. Dem christlichen Glauben begegnete sie erst als Erwachsene. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie von ihren Erfahrungen und Erwartungen an ihr neues Ehrenamt.

 

epd: Ihre Wahl in das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags und zur designierte Präsidentin des Kirchentags 2025 in Hannover dürfte nicht wenige Menschen in wie außerhalb der Kirche überrascht haben. Sie auch?

 

Siegesmund: So etwas passiert ja nicht über Nacht. Tatsächlich bin ich auch für mich überraschend von der Findungskommission des Kirchentages angesprochen worden. Ich habe dann gesagt, ich bringe drei Dinge mit: erstens den Blick von außen. Zweitens eine Ost-Biografie als Frau, der die Bewahrung der Schöpfung sehr wichtig ist. Und drittens seit meinem ersten Kirchentag ein leidenschaftliches Engagement dafür, aktuelle gesellschaftliche Fragen mit Glaubenshoffnung und Zuversicht zu verbinden.

 

epd: Das hat offenbar überzeugt?

 

Siegesmund: Zuerst die Findungskommission, dann das Präsidium und schließlich die Präsidialversammlung. Es ist eines der tollsten Ehrenämter in Deutschland – und noch dazu gemeinsam mit Thomas de Maizière und Torsten Zugehör, zwei wunderbaren Menschen.

 

epd: Wie aufregend war das Auswahlverfahren?

 

Siegesmund: Es gibt eine Ordnung des Deutschen Evangelischen Kirchentages, da steht genau drin, wie das abläuft. Natürlich habe ich mich dabei beraten lassen, mit Leuten aus den alten wie den neuen Ländern gesprochen, auch mit Katrin Göring-Eckardt.

 

epd: Deren Wahlkreis-Mitarbeiterin sie einmal waren und die selbst Erfahrung als Kirchentagspräsidentin hat.

 

Siegesmund: Genau. Ich bin einfach mit der Haltung herangegangen, entweder das passt zueinander oder nicht. Am Ende ist dann dieses zupackende und fröhliche Trio entstanden.

 

epd: Bei Thomas de Maizière fällt Ihnen als erstes fröhlich ein?

 

Siegesmund: Warum nicht? Ihn dabei zu erleben und zu hören, wie er über den Kleinen Prinzen spricht und was er ihm mitgegeben hat, oder mit Torsten Zugehör über seine Wittenberger Erfahrungen zu plaudern, das ist toll. Wir sind zweieinhalb Ossis, haben alle Kinder. Sie verstehen, wie das ist, wenn die Konfirmation der Tochter dreimal verschoben werden musste. Torsten Zugehör und ich sind zudem beide erst als Erwachsene getauft worden.

 

epd: Sie haben erst spät zum Glauben gefunden. Wann war denn Ihr erster Kirchentag?

 

Siegesmund: Mein erster Kirchentag war in Stuttgart 1999. Ich kam völlig abgebrannt von meinem Studienjahr aus den USA zurück und hatte erlebt, wie es ist, auf eine sehr religiöse, sehr fromme und auch wirklich anstrengende Art und Weise, Christin zu sein. Wir haben, weil man das halt in Louisiana so macht, verschiedene Sonntagsgottesdienste gefeiert. In den Gospelgottesdiensten saßen wir als die einzigen Weißen und ließen uns mitreißen von der Musik. Aber es blieb das Gefühl, ein wenig zu stören. Bei den evangelikalen Christen dachte ich, meine Güte, das ist es jetzt aber auch nicht.

 

epd: Was war anders in Stuttgart?

 

Siegesmund: Ich hatte mein Studium in den USA mit einem Teilstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes auch mit geborgtem Geld finanziert, das musste ich zurückzahlen. In Stuttgart konnte ich in drei Monaten das Geld verdienen. Zunächst fehlte mir die direkte Herzlichkeit der Südstaaten schon. Dann kam der Kirchentag. Mit einem Schlag wurde es international und bunt, mitreißend und hoffnungsfroh und fröhlich. Es war, wie das erste Mal «Vertraut den neuen Wegen» zu singen. Danach wollte ich einfach bleiben.

 

epd: Richtig zum Glauben gebracht hat Sie dann Ihr Freund und späterer Mann?

 

Siegesmund: Als Pfarrerssohn hat er mir, zusammen mit seiner Familie, sehr dabei geholfen. Mein Schwiegervater hat mich dann in einer kleinen Ostthüringer Dorfkirche – in der Ponitzer Friedenskirche – getauft. Darauf hatte ich mich mit der Rositzer Pastorin Christiane Müller vorbereitet.

 

epd: Wie leben Sie mit Ihrer Familie, zu der drei Töchter im Alter von 12, 15 und 20 Jahren zählen, Ihren Glauben?

 

Siegesmund: Bei uns wird, wenn wir zusammen zu Abend essen, gebetet. Wir gehen zusammen zu den Gottesdiensten in die Schillerkirche und einmal im Monat am Freitagabend in die Jenaer «Lichterkirche». Wir sind fest in unserer Gemeinde verankert, auch weil wir einen einnehmenden Kindergottesdienst haben. In der Schillerkirche wurden zwei unserer drei Mädchen auch getauft.

 

epd: Was wollen Sie als Präsidentin des Kirchentags 2025 in Hannover bewegen?

 

Siegesmund: Kirchentage sind eine Laienbewegung, bei der es darum geht, christlichen Glauben und gesellschaftspolitische Fragen in geeignete Formate zu bringen. Das ist etwas sehr Offenes, sehr Partizipatives. Der Präsident oder die Präsidentin spielt dabei nur eine kleine Rolle. Es geht vor allem darum, alles gemeinsam zu entwickeln. Thomas de Maizière verantwortet den Kirchentag in Nürnberg 2023 unter der Losung «Jetzt ist die Zeit». Torsten Zugehör und ich werden ihn dabei nach Kräften unterstützen. 2025 wird mit Hannover, seinem Grünen-Oberbürgermeister und einer Grünen-Mehrheit im Rat eine Stadt Gastgeber, die kulturelle Vielfalt auf der einen Seite mit der Bewahrung der Schöpfung auf der anderen Seite verbindet.

 

epd: Kirchentage haben für Christen, die in der DDR aufwuchsen, eine besondere Dimension, oder?

 

Siegesmund: Das ist ein Punkt, der mich wirklich bewegt. Die Gespräche, die ich mit Kirchenleuten über diese Zeit führe, beeindrucken mich zutiefst, vor allem die Menschen, die in den 1970er und 80er Jahren die DDR-Umweltpolitik und den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung mit angeschoben haben. Sich zu treffen unter dem Motto «Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser», war eine der wenigen Möglichkeiten, frei über die Umweltbelastungen zu sprechen. Objektiv sind seither viele Dinge bewegt worden und haben sich ins Positive verändert, aber gerade diese Menschen aus dem konziliaren Prozess heraus sagen heute weder «Wir sind fertig», noch verlieren sie den Rest der Welt aus dem Blick.

 

epd: Was bewegt sie als Christin noch?

 

Siegesmund: In den Dorfkirchen sitzen kaum noch junge Leute. Entweder sind sie weggezogen oder sie fühlen sich nicht angesprochen. Die Frage, wie sich die jungen Leute erreichen lassen, berührt auch den Kirchentag. Es gibt Hemmschwellen, gerade in Corona-Tagen – aber auch die Sehnsucht nach Nähe und Zuversicht. Ein Kirchentag nach der Pandemie hat aus meiner Sicht einen ganz anderen Stellenwert als die Kirchentage, die wir bisher kannten. «Jetzt ist die Zeit» ist dafür das perfekte Motto. Wenn man jetzt nicht die Hand ausstreckt, wann dann?

 

epd: Den Funktionären der AfD bleibt diese Hand verwehrt?

 

Siegesmund: Ja. Ein Kirchentag lebt von Meinungsvielfalt. Er lebt davon, die Argumente, die Annäherung, alle Spielräume zu nutzen. Aber beim Kirchentag gibt es, wie es sie auch im demokratischen Leben geben muss, eine rote Linie. Alles, was rassistisch ist, was ausgrenzt, was antisemitisch ist und Vielfalt untergräbt, was demokratische Entscheidungsprozesse anzweifelt – all das hat auf dem Kirchentag nichts verloren. Und deswegen hat auch die AfD auf dem Kirchentag nichts verloren. Punkt.

 

epd: Die Vorfreude bei Ihnen ist also groß?

 

Siegesmund: Ich bin Christin, ich bin Mensch. Politik ist mein Leben. Aber bei einem Kirchentag geht es nicht um politische Entscheidungen. Daher freue ich mich ja auch so, dass ich gefragt wurde. Kirchentage öffnen den Blick nach vorn. Damit meine ich nicht nur außerhalb des Thüringer Horizontes, sondern auch in der Zeit. Das finde ich schön.

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Siegesmund: Kirchentage öffnen den Blick nach vorn – Umweltministerin wird Präsidentin des Kirchentags 2025 in Hannover