Loccum/Fulda (epd). Übergriffe, Aggressionen und Gewalt gegen Pflegekräfte in der Altenhilfe kommen nach Aussage der Gesundheitswissenschaftlerin Beate Blättner oft vor, werden aber selten thematisiert. «Unseren Forschungen zufolge erlebten in den vergangenen zwölf Monaten 89 bis 94 Prozent der Pflege- und Betreuungskräfte in der stationären Pflege solche Angriffe», sagte die Professorin des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Fakultät ist von diesem Mittwoch an auf einer dreitägigen pflegeethischen Tagung der evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum vertreten. Dabei geht es um den Umgang mit Gewalt gegen Pflegekräfte. Das sei ein vielschichtiges Phänomen, bei dem Pflegekräfte sowohl Täter wie Opfer sein könnten, sagte Blättner.

«Täter sind sie manchmal, weil sie sich in den Anforderungen ihres Berufsalltages nicht anders zu helfen wissen und nicht zwingend, weil sie alten Menschen schaden wollen.» Als Opfer erlebten sie oft Angriffe, weil sich pflegebedürftige Menschen gegen Dinge wehrten, die sie nicht wollten oder nicht verstünden. «Pflegekräfte selbst bagatellisieren teilweise diese Erfahrungen mit dem Argument, es sei ja keine Absicht gewesen. Entsprechend wird tatsächlich wohl immer noch zu wenig darüber gesprochen, vor allem zu wenig präventiv gehandelt.»

Bei den Übergriffen handele es sich häufig um das Gefühl, herumkommandiert zu werden, aber auch um Anschreien, Beschimpfungen und Beleidigungen, Beschuldigungen, Einschüchterungen und Bedrohungen, erläuterte die Wissenschaftlerin. «Auch Spucken, Kratzen, Kneifen sind nicht selten.» Es werde überdies geschlagen oder getreten, manchmal mit der Faust oder einem anderen Gegenstand gedroht. Deutlich seltener würden Pflegekräfte grob angefasst, geschubst, beworfen, absichtlich mit Rollstuhl oder Rollator gerammt oder an den Haaren gezogen – «es kommt aber auch vor».

«Mehr als vier von zehn Pflegekräften wurden mit einer sexuellen Äußerung oder Handlung konfrontiert», ergänzte die Professorin. Die Gewalt habe Folgen: «Pflegekräfte werden unsicher, neigen eher zu Unfällen, werden selbst leichter gewalttätig oder auf die Dauer einfach unzufrieden mit ihrem Beruf.»

In hessischen Einrichtungen der Altenpflege seien mittlerweile Gewaltschutzkonzepte Vorschrift. «Aber dummerweise ist Papier geduldig und solche Konzepte sind längst nicht überall gelebte Praxis.» Wichtig sei es, Strategien gemeinsam mit Pflege- und Betreuungskonzepten zu entwickeln.

Arbeitsbedingungen, vor allem der Zeitdruck durch Personalmangel, müssten als mögliche Ursache ins Visier genommen werden. Präventiv könnten Maßnahmen wie gleichgeschlechtliche Pflege, also die Pflege durch Personen des gleichen Geschlechts, Pflege durch zwei Personen, die das Zimmer gleichzeitig betreten, oder Deeskalationstrainings für Pflegekräfte weiterhelfen. Blättner: «Manchmal reicht es auch schon, mehr darüber nachzudenken, dass wir in der Pflege ständig Intimgrenzen anderer Menschen überschreiten. Das geht auch anders, zumindest wenn mehr Zeit für bessere Pflege da ist.»

Source: Kirche-Oldenburg