Oldenburg/Herdecke (epd). In deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen sollen laut einer Pilotstudie jährlich deutlich mehr Patienten durch die Hände von Pflegern oder Ärzten sterben, als bislang angenommen. Wissenschaftler der Universität Herdecke um den Psychotherapeuten Karl H. Beine untersuchten laut einem Bericht der «Welt am Sonntag» zum ersten Mal empirisch das Phänomen, das zuletzt durch den Pfleger Niels H. im niedersächsischen Delmenhorst und Oldenburg in die Öffentlichkeit gerückt war. Er war 2015 wegen mehrfachen Mordes an Patienten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Momentan werden bis zu 200 weitere Fälle untersucht.

Für die Studie fragten Beine und seine Kollegen rund 5.000 Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, ob sie in den vergangenen zwölf Monaten lebensbeendende Maßnahmen aktiv an Patienten vorgenommen hätten. Gut drei Prozent der Ärzte in Krankenhäusern antworteten, sie selbst hätten dies bereits getan, ebenso fünf Prozent der Altenpfleger und 1,5 Prozent der Krankenpfleger. In den Pflegeheimen lagen die Ergebnisse ähnlich.

Hochgerechnet auf alle Ärzte, Alten- und Krankenpfleger in den Kliniken und Heimen ergäbe sich die Zahl von rund 21.000 aktiv lebensbeendenden Maßnahmen. «Wobei wir hier sicher nicht über 21.000 Morde oder Totschlagsdelikte reden», betonte Beine. «Unsere Untersuchung ist nur ein Anfang. Sie ist nicht repräsentativ. Ein erster Schritt, um zu zeigen, dass wir alarmiert sein und weiter forschen müssen.»

Für Forscher Beine, der sich seit 25 Jahren mit Tötungsserien im Gesundheitswesen befasst, sind die nun angenommenen Zahlen Folge eines maroden Gesundheitssystems, in dessen Zentrum nicht der Mensch, sondern Profite stünden. «Die Folge sind gestresste Pfleger und Ärzte, Unzufriedenheit, Behandlungsfehler und eine zunehmende Resignation», so Beine. Die Studienergebnisse sind auch das Herzstück eines Buchs des Forschers, das kommende Woche erscheint: «Tatort Krankenhaus – Wie ein kaputtes System Misshandlungen und Morde an Kranken fördert».
Source: Kirche-Oldenburg