Lange, verschwurbelte Sätze sind für Ulla Bartels und andere Gehörlose ein Problem. „Wenn man so einen Satz von den Lippen liest, weiß man am Ende nicht mehr, was am Anfang gesagt wurde“, schildert sie eine der Schwierigkeiten in der Kommunikation mit „Gut-Hörenden“. Eine Schwierigkeit, die ihr auch in der Synode der oldenburgischen Kirche begegnet. Denn seit Januar 2014 gehört Bartels dem Kirchenparlament als gewähltes Mitglied an und ist damit die erste Gehörlose in einer Synode in Niedersachsen.

„Ohne Technik bin ich taub. Mit Technik schwerhörig“, schildert Bartels selbst. Um an den Beratungen der Synode teilnehmen zu können, benötigt sie die Unterstützung durch Gebärdensprachdolmetscherinnen. „Ich bin dankbar, dass diese Unterstützung möglich ist“, betont Bartels. Es sei wichtig, dass auch Gehörlose und Schwerhörige sich in solchen Gremien engagierten. In der Gemeinde der Gehörlosen sei man sehr stolz gewesen, als sie in die Synode gewählt wurde.

„Wir sind direkt“, fasst Bartels einen Unterschied zwischen Laut- und Gebärdensprache kurz und knapp zusammen. „Alles andere würde langweilig werden und ewig dauern.“ Für die ganzen Höflichkeitsfloskeln während einer Synode bleibt in der Verdolmetschung keine Zeit. Die Dolmetscherinnen lassen die ganzen Begrüßungen wie „verehrte Präsidentin“ einfach weg. „Das würde viel zu lange dauern“, erklärt Bartels. Auch so hänge sie der Diskussion immer etwas hinterher. „Spontane Beteiligung ist für mich dadurch bei den Synodentagungen leider sehr schwierig“, muss sie eingestehen. Einfacher sei das in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen.

Nicht nur lange Sätze erschweren Bartels das Verständnis. Sie und die Dolmetscherinnen, die während der Synode alle Wortbeiträge für Bartels simultan dolmetschen, müssen für viele Worte, die im Kirchenparlament genutzt werden, erst Gebärden überlegen.

„Wie gebärdet man Synode? Das haben wir uns ganz am Anfang überlegt.“ Alleine in einem Bericht des Bischofs zur Synode seien einmal 75 Fremdwörter gewesen, für die es in der Gebärdensprache keine Entsprechung gebe. Es helfe ihr sehr, dass sie belesen sei und so viele der Wörter kenne, sagt Bartels. Aber das sei für Gehörlose nicht selbstverständlich. „Vielen fällt es sehr schwer, lesen zu lernen. Es wurde viel Wissen vorenthalten.“ Vor allem da die Gebärdensprache erst seit 2002 anerkannt sei. Und auch heute werde zu wenig darin unterrichtet.

Der Fortschritt der Technik – etwa mit den Cochlea-Implantaten – führe dazu, dass viele denken, normales Hören sei möglich. Die Hörprothese sei eine große Hilfe, dennoch sei bei großer Geräuschkulisse das Verstehen nicht möglich. Und: „Lautsprache ist für mich eine Fremdsprache“, betont Bartels. Noch einen Unterschied zu „Gut-Hörenden“ macht sie deutlich „Für uns ist Verstehen 100 Prozent Arbeit. Wir können das nicht nebenbei erledigen.“

Berichten heißt, für Verständnis werben
Indem sie über die Schwierigkeiten berichtet, will Bartels für mehr Verständnis auf beiden Seiten werben. Nur Wissen führe zu einem besseren Miteinander. Deshalb freut sie sich auch über jeden, der sie auf der Synode anspricht. Gerne erzählt sie dann auch vom Gemeindeleben in der Gehörlosengemeinde. „Wir freuen uns immer, wenn Gut-Hörende zu unseren Gottesdiensten kommen.“ Leider passiere das viel zu selten. Inklusive Gottesdienste wie im vergangenen Jahr in Eversten seien ebenfalls selten.

In ihrer Gemeinde ist Bartels sehr aktiv. Als sie anfing, die Gottesdienste zu besuchen, gab es noch nicht viel. „Das normale Gemeindeleben fehlte“, erinnert sich Bartels. Mittlerweile gibt es einen Chor und eine Theatergruppe. Auch da ist von den Engagierten viel Einsatz gefragt: Lieder müssen in Gebärdensprache gedolmetscht werden – denn ein Liederbuch mit Gebärdenliedern gibt es bisher nicht.

Übersetzen muss Bartels auch, wenn sie als Lektorin Lesepredigten vorbereitet. Derzeit durchläuft sie die Ausbildung zur Lektorin. „Lesepredigten muss ich immer umschreiben. Es wird zu viel vorausgesetzt. Die Bibel gibt es nicht in Gebärdensprache. Deshalb gibt es nicht so viel Wissen darüber“, schildert sie die Herausforderung bei dieser Tätigkeit.

Aber Herausforderungen scheut die gelernte Goldschmiedin, die heute als Arbeitspädagogin arbeitet, nicht. Mit der Gehörlosenmission war sie in Afrika. „Was brauchen die Menschen wirklich? Das kann man nur vor Ort erfahren“, sagt sie. Ihre Besuche in Tansania und Eritrea haben bleibende Eindrücke hinterlassen. „Man wird bescheiden.“ Den Kulturschock habe sie vor allem bei der Rückkehr empfunden. In Afrika hätte sie sich angepasst. 25 Kilometer laufen, nur morgens und abends etwas zu essen, das sei normal geworden.

In Oldenburg will sie sich weiter dafür einsetzen, Berührungsängste abzubauen. „Es ist leider noch nicht selbstverständlich, dass wir am öffentlichen Leben teilnehmen können.“ Politische Veranstaltungen, das Fernsehen – nur selten werden Dolmetscher oder Untertitel angeboten. Das gelte auch für die normalen Gottesdienste. Oft würden die Mikrofone nicht genutzt, sodass die Hörschleifen nicht funktionierten.

Wichtig für ein noch besseres Verständnis sei, dass die Betroffenen bei Entscheidungen mit einbezogen würden, betont die Synodale. Denn es fehle oft einfach an Wissen über das Gegenüber. „Man sieht uns nicht an, dass wir schlecht oder gar nicht hören“, weiß Bartels. Manchmal habe sie ein schlechtes Gewissen, dass für sie in der Synode zwei Dolmetscherinnen bezahlt würden. Aber vor allem sei sie dankbar, dass diese Chance auf Teilhabe möglich ist.

Ein Beitrag von Kerstin Kempermann, Evangelische Zeitung Oldenburg.

Source: Kirche-Oldenburg