Bremen (epd). Vor 20 Jahren waren sie noch der Zeit voraus, heute liegen sie voll im Trend: Sigrid und Peter König aus Bremen wünschen sich zu Weihnachten untereinander und von ihren Kindern schon seit längerem keine Dinge mehr, sondern Zeit. Gemeinsame Zeit. Waldspaziergänge, miteinander Kochen, beim Kaffee reden – "das muss keine große Aktion sein", meint Sigrid König. Und ihr Mann Peter betont: "Die Grundausstattung zum Leben haben wir – Beziehung brauchen wir immer."

Nackenmassage statt Schal, Waldluft statt Parfüm, Wandern statt Wein: Mit Vorschlägen wie diesen gestaltet die Wiesbadener Digitalagentur Scholz & Volkmer seit vier Jahren ein Online-Portal, das diesen Wunsch aufgreift. Seit dem Start ist die ursprünglich als Weihnachtsprojekt gedachte Plattform www.zeit-statt-zeug.de stetig gewachsen. "Vieles kaufen wir, ohne es wirklich zu brauchen", sagt Geschäftsführer Michael Volkmer. "Ein Viertel der Lebensmittel in Deutschland wird weggeschmissen, ein Drittel unserer Kleidung bleibt ungetragen im Schrank. Gleichzeitig läuft uns die Zeit scheinbar davon."

"Zeit ist ein knappes Gut", bestätigt die Bremer Freizeitwissenschaftlerin Renate Freericks. "Füreinander Zeit zu haben – das gehört zu den Wünschen, die am häufigsten geäußert werden." Wohl auch deshalb räumt der Einzelhandel dem Thema in diesem Jahr so viel Raum ein wie noch nie. Edeka hat seine Vorweihnachtswerbung im Netz unter das Motto "#Zeitschenken" gestellt. Otto wirbt mit dem Hashtag "ZeitGeschenk", das Gutschein-Portal "mydays" mit dem Slogan "Schenke Gemeinsamzeit."

Selbst das Umweltbundesamt erinnert zu Weihnachten daran, dass gemeinsame Erlebnisse immer Freude machten und im Alltagsstress oft rar seien. Dabei hat die Behörde den Klimawandel im Blick. Denn wer weniger Zeug verschenkt, senkt den Energieverbrauch und damit den Ausstoß an klimaschädlichem CO2. Das gilt natürlich nur, wenn das stattdessen verschenkte gemeinsame Erlebnis kein Wochenendtrip mit dem Flugzeug ist.

Aber Vorsicht: Manches Zeitgeschenk könnte den alltäglichen Stress eher steigern. "Beispielsweise beim Konzertgutschein, für den dann ja ein Termin gefunden werden muss", warnt Freizeitpädagogin Freericks. "Es gibt nämlich Leute, für die ist jeder weitere Termin eine Last."

Auch wenn Portale wie "mydays" Geschenk-Events wie einen Fallschirmsprung, ein Candle-Light-Dinner oder eine Städtereise komfortabel gegen Geld anbieten, rät die Wissenschaftlerin, genau zu überlegen, was zu wem passt. "Vielleicht ist es besser, Zeit zu verschenken, um den anderen zu entlasten: Ich bügle für dich, ich flicke dein Rad, ich mähe deinen Rasen oder ich koche für dich." Zeitgeschenke mit Alltagsnutzen seien ein echter Gewinn. "Jemand kommt und nimmt mir etwas ab – besser geht’s doch nicht."

Vorschläge wie diese finden sich auch auf dem "Zeit-statt-Zeug"-Portal von Michael Volkmer, das aufgebaut ist wie ein Web-Shop, dabei aber kein Geld kostet. Wer will, kann eine virtuelle Geschenkkarte ausfüllen und versenden. "Gewohnte Konsummuster bedienen und gleichzeitig das gelernte Konsumverhalten infrage stellen, das ist unsere Idee", meint Volkmer und fügt hinzu: "Und am Ende zeigt uns die positive Resonanz vor allem, dass für Menschen eben nicht Dinge wertvoll sind, sondern gemeinsam verbrachte Zeit."

Eine einfache Möglichkeit, Zeit miteinander zu verbringen, ist das Vorlesen, das besonders zu Weihnachten beliebt ist. Zu Recht, findet der Bremer Bestsellerautor David Safier ("Jesus liebt mich"). "Gerade Vorlesen bereitet gegenseitige Freude. Nicht nur, wenn man mit Kindern gemeinsam vor dem Einschlafen daliegt. Bei meinen Lesungen begegnen mir sehr viele Paare, die sich Bücher gegenseitig im Bett vorlesen."

Sich selber Zeit zu schaffen und gegenseitig Zeit zu schenken, das sei eine wunderbare Idee, "nicht nur für das Weihnachtsfest", findet der Schriftsteller. Egal, ob es in der Familie, im Krankenhaus oder im Hospiz passiere – "alle berichten davon, wie sie das Vorlesen näher zusammenbringt und ihnen Momente der Freude schenkt. Und darum geht es doch zu Weihnachten."

Dabei kommt es nach Einschätzung von Freizeitwissenschaftlerin Freericks gar nicht so sehr darauf an, was man tut, wenn man Zeit verschenkt. "Es muss nicht perfekt sein, Perfektionismus ist ein echter Zeitfresser. Hauptsache zusammen." Beispielsweise gemeinsam seinen Gedanken nachhängen, die Zeit verstreichen lassen. "Das haben viele Menschen verlernt. Dabei tut das so gut: Nicht von einem Erlebnis zum nächsten hetzen, sondern füreinander da sein. Innehalten."
  
Source: Kirche-Oldenburg