In diesem Theaterstück ist alles anders: «Maria und Josef» sind eine Putzfrau und ein Wachmann, die sich an Heiligabend zufällig in einem Kaufhaus treffen. Und hier setzt das Deutsche Theater in Göttingen auch seine ungewöhnliche Geschichte in Szene.

Göttingen (epd). Kleiderständer statt Krippe, kein Ochs’ und kein Esel und auch von den Heiligen Drei Königen keine Spur: An knapp zwei Dutzend Abenden im November und Dezember verwandelt sich das Untergeschoss des Göttinger Modegeschäfts «Woggon» in eine Theaterbühne. Das Deutsche Theater bringt hier in den kommenden Wochen die Weihnachtsgeschichte «Josef und Maria» zur Aufführung. Denn auch die Vorlage des österreichischen Schriftstellers Peter Turrini spielt nicht in einem Stall, sondern in einem Kaufhaus.

Es ist Heiligabend. Die vorweihnachtliche Verkaufsschlacht ist geschlagen, das Gebäude verschlossen, still ruhen in den Regalen die übriggebliebenen Waren. Maria hat es im Rücken, die Bandscheibe zwickt heftig. Stöhnend, sich mit einer Hand die schmerzende Seite haltend, in der anderen Eimer und Feudel, schlurft sie durch das menschenleere Gebäude. Ab und zu wischt sie zwischen den Stühlen in dem an diesem Mittwochabend kleinen, voll besetzten Zuschauerraum herum.

Weil sie in der Familie ihres Sohnes zum Weihnachtsschmaus nicht willkommen ist, hat sie freiwillig die Schicht als Putzfrau übernommen. «Ich bin hier ganz alleine und tu’ putzen», ruft Maria verzweifelt in die Stille. Und nimmt, als das Gefühl von Einsamkeit sie zu überwältigen droht, einen kräftigen Schluck aus der mitgebrachten Weinbrandflasche. Das eben noch kichernde Publikum ist sichtlich betroffen. Kein Mucks ist im Raum zu hören, nur von draußen dringt das leise Gemurmel von Nachtschwärmern herein.

Marias Wehklagen ruft Josef auf den Plan, der in dem Geschäft als Wachmann Dienst schiebt. Ebenfalls freiwillig, denn der aufrechte Kommunist hat keine eigene Familie, und die meisten alten Genossen sind längst tot. Den Traum von einer gerechten Gesellschaft träumt Josef nun allein weiter. Für das Weihnachts-Gedöns hat er nichts übrig. «Mir ist ja alles Heilige zuwider», stellt er klar. «Die ganze Sache mit dem Jesuskind ist doch eine Erfindung.»

Auf der Treppe kommen die beiden ins Gespräch, stockend zunächst reden und erzählen sie aneinander vorbei. Unterbrochen von Weinkrämpfen schildert Maria, die in Tirana einst Varieté tanzte, ihre traurige persönliche Situation: Sie berichtet von ihrer unfreiwilligen Schwangerschaft, der unglücklichen Ehe – «wenn er mich nicht schlug, war es ganz nett» – und der bösartigen Schwiegertochter.

Josef hingegen, der von den Nationalsozialisten wegen seiner politischen Überzeugung im Gefängnis misshandelt wurde, überspielt seine Betroffenheit und seine Gefühle mit politischen Parolen: «Ein fortschrittlicher Mensch ist nie allein», sagt er und stimmt dann mit brüchigem Bass die «Internationale» an.

Ein Tango, zu dem Maria den zögernden Josef bittet, bricht schließlich das Eis. Erst mit langsamen Schritten, dann immer schneller und flüssiger wirbeln und schweben die beiden durch das Geschäft, sie kommen sich näher, sie umarmen und küssen sich. Sichtlich beseelt von so viel Nähe, erklärt Josef den eigentlich verhassten Heiligabend zum «Tag der Gerechtigkeit». Er schlägt Maria vor, dass die beiden sich mit den ausliegenden Waren eindecken – die «Vorratskammer des Kapitalismus» soll in den Besitz des Volkes zurückgehen – und sich dann gemeinsam auf den Weg in ein besseres Leben machen. Ob Maria sich darauf einlässt, bleibt am Ende offen.

Nur langsam setzt Beifall ein, dann schwillt er an – es wirkt so, als klatschten die Zuschauer ihre widersprüchlichen Empfindungen weg. «Ich wusste manchmal nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein sollte», sagt eine Besucherin. Eine andere, die mit einer Freundin gekommen ist, will das Stück ihrer Familie empfehlen: «Eine schöne, nachdenklich machende Geschichte.»

Peter Turrini ist bekannt für seine gesellschaftskritischen und teils provokanten Volksstücke. Auch er hätte an dem von Regisseur Elias Perrig rund um eine Treppe in Szene gesetzten Stück in Göttingen vermutlich große Freude.

Source: Kirche-Oldenburg