„Euch geht’s wohl zu gut“, ruft die ältere Dame Jugendlichen zu, die sich lauthals über den totalen Schulstress beklagen. Als sie das Cafe betritt, regt sie sich auf, dass es nur fünf Sorten Torte zur Auswahl gibt. Uns geht’s wohl zu gut! Ein Großteil der Rentner darf sich zur goldenen Generation zählen und die Kids laufen mit dem neusten Smartphone herum. Gesicherte Arbeit, Hobby, Urlaub, Essen gehen. Den meisten Leuten fehlt es an nichts. Aber die Stimmung ist mies. Alles ist irgendwie schlecht. Die Politik versagt, die Wirtschaftsbosse stecken sich Geld in die Tasche und der Service beim Billigflieger fürs Wochenende in London war hundsmiserabel. Was für eine Jammerkultur.
Es ist ein bisschen wie mit dem Monatsspruch. Statt goldener Oktober hört sich der wie ein Novemberblues an: „Herr, all mein Sehnen liegt offen vor dir, mein Seufzen war dir nicht verborgen“. Psalm 38 ist einer von sieben Bußpsalmen, die der Klage Raum geben, damit man aus dem Jammern rauskommt. Der Hunger der Seele und die Verzweiflung in Einsamkeit und Krankheit bekommen einen Kanal. Im Psalmgebet kann ich sie Gott weitergeben. Existentiell Wichtiges bekommt einen Ort für Trost und Heilung, der Überdruss des Wohlstands wird bedeutungslos, das Jammern überflüssig. Freude steigt auf.
Christian Scheuer, Kreispfarrer des Ev.-luth. Kirchenkreises Friesland-Wilhelmshaven
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