Es klingelt an der Tür unseres Pfarrhauses. 

Das geschieht oft, dass jemand nach ein wenig Unterstützung fragt oder nach etwas zu Essen. 

Meistens schmiere ich dann schnell ein Brot oder gebe eine Dose oder eben einen Schein raus. 

Heute ist es anders. Der da steht, Sven, will reden, muss reden – so scheint es. 

„Ich muss Sie jetzt mal als Klagemauer benutzen“, bricht es aus ihm heraus. 

Und das heißt soviel wie: ich kippe Ihnen jetzt alles vor die Füße, was mir Unangenehmes durch Kopf und Herz geht, das ganze Leid meines Lebens. 

Ich will keine Lösung, keinen Ratschlag – ich will einfach nur mal klagen dürfen. Und Sie sagen am besten gar nichts.   

Ich nicke.

So eine Klagemauer wie die berühmte in Jerusalem ist eine geniale Idee: Anders als Menschen hält sie stand – was immer ihr geklagt wird. Sie ist aus festem Stein. Ihr kommen keine Tränen. Sie sucht nicht nach schnellen Antworten. Sie verwechselt nicht die Klage mit einem Problem. 
Wenn jemand fragt „Warum gerade ich?“,  da kommt so eine Klagemauer nicht auf die Idee, Gründe und Argumente zu liefern. Sie weiß, dass das eben keine Frage, sondern eine Klage ist, die ausgesprochen werden muss.

Es braucht jemanden, der sie hört.  

Ja, Klagemauern haben viele Vorteile. Und einen Nachteil: Sie können niemanden in den Arm nehmen. Das können nur Menschen, denen es nichts ausmacht, einfach mal als Klagemauer herzuhalten. Und die können dann eben doch ein Stulle Brot schmieren. Mit extra viel Käse und Wurst drauf. 

Stefan Stalling
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