Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ich machte meine Kaufmannsausbildung in einer Geschäftsstelle von Handwerksinnungen.
Kein Tag ohne Anschiss oder Raum für Fehler, Ausprobieren oder Lernen. Mein Chef als auch meine Ausbilderin standen sich in nichts nach. Krawattenzwang. Stand die Mülltonne draußen einen Millimeter schief, war die Frau vom Chef zur Stelle.
Ich erkämpfte mir einen Schmierzettel, wenn mich am Telefon Handwerker zutexteten. Und den „krawattenfreien Freitag“.
Angst – mein treuer Freund. Der Obermeister, Fachmann für Frisuren mit eigenem Schnäuzer, wusste, was ich aushalten musste und tat…nichts.
Der Ausbildungsbeginn ist schon 20 Jahre her. Ich konnte nicht gehen. Lehrstellen waren knapp. Meine Eltern und meine vielen, vielen Gebete an Gott halfen mir über die drei Jahre hinweg.
Nullpunkt. Meine Ausbilderin ist bereits verstorben. Sie freute sich später für mich um meiner neuen Wege. Ich weiß, dass sie in ihrem Leben auch nicht den goldenen Löffel bekommen hat.
Aber an der Frau vom Chef gehe ich hocherhobenen Hauptes vorüber. Auch heute noch.
Die Geschäftsstelle ist Geschichte. Da ist heute ein Nagelstudio. Träume ich mal schlecht, sitze ich wieder dort. Narben bleiben.
Tun Sie mir ein Gefallen: Wenn ihre Kinder oder Enkel in diesen Tagen Probleme in ihrer Ausbildung haben oder sie vor Einschnitten im Leben stehen: Holen Sie sich Hilfe! Von lieben Menschen, oder schnappen sie sich eine Pastorin. Dafür sind die auch da. Der Schmerz geht irgendwann vorbei.
Florian Bargen
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