Ich liebe Schnee! Die Luft hat einen ganz besonderen Geruch und schon bevor die ersten Flocken fallen, kann ich sie riechen. In meinem Kinderzimmer stand mein Bett unterm Dachfenster. Wenn es nachts anfing, zu schneien, bin ich barfuß in meine Moonboots geschlüpft, habe die Winterjacke über das Nachthemd angezogen und bin in den Garten geschlichen. Den wirbelnden Flocken zugeschaut, versucht, sie zu fangen. Damals waren Schnee schieben und Auto freikratzen noch kein Thema. Der Schnee hüllt die Welt ein. Eine gnädige weiße Decke über alles, der Dreck in den Straßen darunter verschwunden, der Lärm gedämpft. Mit etwas Glück scheint sogar noch ein bisschen Sonne und verstärkt dieses unglaubliche weiße Licht. Dieses Gefühl von Anfang und von Unberührtheit klingt in einem Gedicht von Erika Burkart an:

Winterweh

Eden war weiß,

kam in der Nacht

der Himmel zur Erde,

sakral schmeckte morgens geheim

eingeflogener Schnee;

unverletzt noch von Spuren,

führten weit die verlorenen Wege,

floss doch das Licht

aus dem ersten Licht.

Der Schnee kommt vom Himmel zur Erde und setzt alles auf Anfang. Jede Schneeflocke ein kurzer Blick in den Garten Eden.

Nicole Ringsdorf
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