Hannover (epd). Ein Vorwort von Niedersachsens Wissenschafts- und Kulturminister Björn Thümler (CDU) für eine Broschüre über die Revolution von 1918/19 in Nordwestdeutschland hat eine politische Kontroverse ausgelöst. Thümler wies Kritik des Grünen-Landtagsabgeordneten Stefan Wenzel zurück, er betreibe Geschichtsverdrehung, indem er den aufständischen Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel eine «Begünstigung» der späteren NS-Herrschaft vorgeworfen habe. Er sei «keineswegs der Ansicht, dass es die Matrosenaufstände in Wilhelmshaven und Kiel als solche waren, in denen eine Wurzel für das Scheitern der Weimarer Demokratie zu suchen wäre», heißt es in einem dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegenden Brief Thümlers an Wenzel.
In seinem Vorwort zu der Broschüre der Landschaft Oldenburg mit dem Titel «Demokratischer Aufbruch im Nordwesten» hatte Thümler unter anderem geschrieben, die Revolution von 1918/19 habe den «Schlusspunkt unter vier blutige und zermürbende Kriegsjahre» gesetzt: «Sie öffnete ein Fenster für einen politischen Neubeginn und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.» Zugleich habe sie aber «den Keim kommenden Unheils in sich» geborgen.
Wenzel, der in der rot-grünen Landesregierung Umweltminister in Niedersachsen war, hatte am Wochenende an Thümler geschrieben, «dass in Ihrem Text offenbar Ursache und Wirkung verdreht werden». Thümlers Grußwort lasse den Schluss zu, «dass nach Ihrer Einschätzung die Matrosenaufstände in Wilhelmshaven und Kiel Ursache (‘Keim’) der damaligen Radikalisierung waren und nicht die Tatsache, dass der Krieg des Kaiserreichs und der Obersten Heeresleitung mit den Generälen Ludendorff und Hindenburg an der Spitze das deutsche Volk ins soziale Elend und in die politische Isolation getrieben hat.» Thümler nehme «indirekt Bezug auf eine Diskussion, »[…] die damals in Kreisen geführt wurde, die der Weimarer Republik sehr feindlich gegenüberstanden«, schrieb Wenzel.
Thümler erwiderte nun, mit der Formulierung »’Keim kommenden Unheils’ meine ich vielmehr die Gesamtsituation 1918/19«. Diese Situation hätten die militärische und zivile Reichsleitung unter der Gesamtverantwortung Kaiser Wilhelms II. herbeigeführt. »Es erübrigt sich daher eigentlich festzustellen, dass ich den aufständischen Matrosen selbstverständlich keine ‘Begünstigung’ der NS-Herrschaft vorwerfe. Das wäre in der Tat grotesk und lässt sich aus dem Text meiner Ansicht nach auch nicht schließen."
Ende Oktober 1918, in den letzten Zügen des Ersten Weltkriegs, hatten zunächst die Matrosen der Kriegsflotte in Wilhelmshaven den Befehl zum Auslaufen gegen England verweigert. Wenige Tage später schlossen sich die Kieler Matrosen der Meuterei an. Diese Aufstände waren das Fanal zur Revolution in Deutschland.
Source: Kirche-Oldenburg