Beinahe hätte ich sie übersehen. Ein Blatt aus dem Garten sollte den Kaffeetisch schmücken – irgendwas klebte daran und ich habe es kurzerhand abgewischt, diesen kleinen Knubbel. Er ist klebrig. Ich schaue nochmal genauer hin – und staune: an meinem Finger hängt ein Schneckenhaus. Ein winzig kleines grün schimmerndes Schneckenhaus. Ganz vorsichtig trage ich es raus in den Garten, setze es auf ein Blatt und sehe, wie sich dieses kleine Geschöpf vorsichtig aus seinem Haus heraus tastet. Es streckt die Fühler aus. Die Schnecke ist nicht nur klein, sondern auch fast durchsichtig. Man kann in sie hinein schauen, in ihr Haus. Sie zeigt sich wie sie ist – auch mit allem, was in ihr steckt. Dabei ist sie so verletzlich. „Der liebe Gott sieht alles!“ Für so viele Menschen ein Spruch, mit dem einem als Kind Angst eingejagt wurde. Dabei meint es doch etwas ganz anderes: Da ist einer, dem ich mich zeigen darf wie ich bin –  mit meinen Stärken und Schwächen, der Trauer, der Angst, der Sorge, der Wut… Wunderbar! Wo das möglich ist, gedeiht die Menschlichkeit.

Ulrike Burkardt, Pfarrerin der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Varel

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