Da steht sie vor mir in der Fußgängerzone einer südniedersächsischen Stadt. Hält die Hand auf. Redet leise von ihren 4 kleinen Brüdern, die Hunger hätten. Fragt mich, ob ich mit ihr zum Supermarkt gehen könne. Etwas zu essen aussuchen.
Ich bin ganz beladen: großer Rucksack und 2 Taschen; meine Tagung beginnt gleich. Grad noch Zeit das Zimmer zu beziehen. Was nun? Mitgehen kann ich nicht. Höchstens etwas Geld geben. Ich zögere; weiß nicht, ob die junge Frau beobachtet wird und vielleicht das Geld von jemandem wieder abgenommen bekommt. Aber das werde ich wohl nicht herausbekommen. Ich reiche ihr einen Geldschein und hoffe, dass er sich wirklich in Nahrung verwandelt. Das er zumindest für eine kurze Zeit zur Sättigung beiträgt. Gleichzeitig ärgere ich mich: Dass wir ein reiches Land sind und trotzdem nicht alle satt kriegen. Dass ich mir Fragen stelle darüber, ob die Geschichten stimmen, die mir Menschen erzählen.
Was die junge Frau denkt, weiß ich nicht. Ob sie denkt, dass ich ihr noch mehr hätte geben sollen. Sie ist schon wieder im Gewirr der Menschen verschwunden. Hoffentlich kann sie heute Abend mit Menschen, die ihr lieb sind, um einen Tisch sitzen und das Brot teilen.
Natascha Faull / Pastorin im Stadtorden Wilhelmshavens
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