Religion ist weder Metaphysik noch Moral, schreibt der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher vor über 220 Jahren. Religion ist nämlich eine eigene „Provinz im Gemüth“, stellt er fest. Sie ist Anschauung und Gefühl – also ganz unmittelbar und nicht erst Produkt einer Reflexion. „Über die Religion“ schrieb er „An die Gebildeten unter ihren Verächtern“: „Die Offenbarung ist keine von oben gekommene, ausserordentliche Mittheilung, sondern das Bewusstsein des eigenen innersten Lebens und einer neuen Anschauung des Unendlichen.“ Nach Schleiermacher kommt Religion also nicht von außen, sondern aus dem Innern des Menschen; aber sie bleibt nicht beim Einzelnen – sie führt zum Austausch und zur Begegnung der Menschen miteinander. „Denn wie sollte (d)er (Mensch) das in sich festhalten wollen, was ihn am stärksten aus sich heraustreibt (…)? Sein erstes Bestreben ist es vielmehr, wenn eine religiöse Ansicht ihm klar geworden ist, oder ein frommes Gefühl seine Seele durchdringt, auf den Gegenstand auch andere hinzuweisen und die Schwingungen seines Gemüths womöglich auf sie fortzupflanzen.“ Religion hat also wesentlich ein wechselseitiges, kommunikatives Element; einen freien diskursiven Austausch unter den religiösen Subjekten – zu denen nach Schleiermacher alle Menschen gehören. Ein provokanter Theologe – damals und heute: an seinem 186. Todestag.

Natascha Faull – Pastorin in Sengwarden

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