Die Dame im Pflegeheim, die ich heute besuche, ist keine Bewohnerin. Sie hat dort eine ganz besondere Aufgabe, Melanie ist die Friseurin. Manch einer mag sich jetzt fragen: Warum braucht denn Frau Müller noch eine Friseurin? Sie liegt doch die meiste Zeit über im Bett?! Und die Frisur wird gleich wieder plattgedrückt?!

Ich beobachte, wie Melanie langsam einen Kopf einschäumt und massiert. Wie sie vorsichtig mit warmen Wasser den Schaum ausspült. Mit flinken Fingern trocknet sie das Haar. Dann stellt sie ihren Spiegel auf und macht ihre Kundin zur Königin. Sie erinnert mich an eine unbekannte Frau in der Bibel. Die tauchte bei einem Essen auf, zu dem Jesus mit seinen Leuten eingeladen war. Er wusste, dass er bald sterben würde. Sie kam einfach herein und unter mürrischer Verwunderung der anderen Gäste, salbte sie Jesus mit dem kostbarsten Öl, wie einen König. Nicht, obwohl er bald sterben würde, sondern weil er diese Wertschätzung gut gebrauchen konnte. Melanie tut das auch: Sie wäscht, massiert und frisiert Königinnen und Könige, weil sie etwas Wohltuendes, weil sie ihre Würde brauchen.

Sonja Froese-Brockmann

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