Vor einigen Tagen war ich zu einem Seminar in Münster. Schon mein Zug ab Sande hatte Verspätung. Am Zielort war mein gesamter Zeitpuffer aufgebracht. Und dann noch die Baustelle am Bahnhof, ein Umweg durch eine Unterführung.

Hier höre ich die Klänge eines Akkordeon – ein älterer Mann spielt es und hofft auf ein paar Spenden. Ich überhole eine Frau, die zu mir sagt: „Das klingt schön, finden sie nicht auch?“, „Ja, sage ich besonders hier in der Unterführung ist eine tolle Akustik.“ „Ja, das stimmt“, sagt sie mit trauriger Stimme. Ich bleibe stehen, weil ich das Gefühl habe, das die Frau etwas bedrückt. „Mein Sohn, der mit zwölf Jahren verstorben ist hat auch Akkordeon gespielt“, sagt sie – die Klänge erinnern mich immer daran.

Ich vergesse mein Seminar für den Moment und frage die Frau, ob ich sie zu einer Tasse Kaffee einladen darf. Ich höre eine ganze Zeit zu, nehme Anteil an ihrer Traurigkeit, ihren Tränen, ihrer Fassungslosigkeit.

Für mich war es eine ganz wertvolle Zeit. Die neue Software habe ich auch trotz meiner Verspätung verstanden. Und ich durfte einem Menschen ein wenig Hoffnung schenken, in die trübselige Stimmung des Novembers. Selten war ich so dankbar über eine Zugverspätung.

 

Rudolf Klug, Lektor, ev.-luth. Kirchengemeinde Tossens

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